Rezension

Ungewöhnliche Wesen vor historischer Kulisse

Grotesque
von Page Morgan

Bewertet mit 3.5 Sternen

Eine neue Stadt soll sie von der Scham befreien, ihrer besten Freundin großen Schmerz zugefügt zu haben. Doch stattdessen wird sie mitten in Ereignisse hineingezogen, die ihre Vorstellungskraft übersteigen.

 

Ingrid Waverly, ihre Schwester und ihre Mutter sind nach Paris gekommen, um dem Gerede in London zu entkommen und in einer verlassenen Kirche eine Kunstgalerie zu eröffnen. Außerdem wollen die beiden jungen Frauen dort ihren geliebten Bruder wiedertreffen, der bereits einige Zeit vorher in die französische Hauptstadt gekommen ist.
Doch Grayson ist verschwunden und zwar schon seit Tagen. Niemand hat bisher nach ihm gesucht und viele denken, er wäre lediglich Opfer seines unsteten Lebenswandels geworden.
Ingrid und Gabby glauben allerdings nicht an diese offizielle Meinung und befürchten, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen sein muss. Ihr neuer Diener Luc scheint mehr über die Umstände zu wissen, aber ihn umgibt ein dunkles Geheimnis.

 

 

Grotesque stand schon länger auf meiner Wunschliste, nachdem ich die Inhaltszusammenfassung gelesen hatte. Bei dem Setting musste ich das Buch einfach kennen lernen, selbst wenn es mich nicht ganz so mitgerissen hat wie erwartet.
An den weiblichen Figuren lag dies eher weniger. Besonders die beiden Schwestern, so unterschiedlich sie auch sind, können die Geschichte durchaus tragen, gerade weil sie so gegensätzlich sind. Die eine ist eher zurückhaltend, vernünftig und nicht ganz so selbstsicher, was das andere Geschlecht angeht. Gabby dagegen ist impulsiv, temperamentvoll und sehr viel mutiger darin, anderen entgegenzutreten und gesellschaftliche Grenzen zu überschreiten. Da die Geschichte erfreulicherweise mal abwechselnd aus der Sicht des einen und mal aus der Sicht des anderen Mädchens geschrieben ist, bekommt man interessante Eindrücke von zwei Seiten und nicht nur von einer. Außerdem wachsen beide im Laufe der Story über sich hinaus und lernen selbst ganz neue Wesenszüge und Fähigkeiten an sich kennen.
Leider kann ich dasselbe nicht über die männlichen Charaktere sagen. Zwar finden sich unter ihnen wirklich interessante Vertreter mit Potential, aber gerade diejenigen, die mehr im Mittelpunkt stehen wie Luc und Grayson erscheinen dagegen eher farblos. Da hätte ich lieber so manche Nebenperson mehr im Mittelpunkt gehabt.

 

Der Schreibstil passt zum Setting des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in Paris. Mit poetischen und sehr ausschmückenden Formulierungen versetzt die Autorin den Leser sehr gut zurück in diese Zeit und schafft gleichzeitig die perfekte Atomsphäre für die düstere Handlung. Immer wieder reißt die Spannung der einzelnen Szenen einen mit, vor allem zum Ende hin, als es zum Showdown kommt. Gerade der Prolog ist meiner Ansicht unglaublich gut gelungen und stimmt einen direkt auf das Weitere ein.
Leider sind mir zusätzlich noch ein paar Kritikpunkte aufgefallen: So aufschluss- und abwechslungsreich der Perspektivenwechsel auch ist, so oft enthüllt er viel zu viel. Man erfährt zum Beispiel zu schnell, was aus Grayson geworden ist, ein Teil des Plots, der weitaus mehr hergegeben hätte, hätte man ihn länger im Dunkeln gelassen.
Gleichzeitig bleibt die wunderschöne Kulisse, das Paris der Belle Époque, zu farblos und wird nur angerissen, obwohl sie wunderbar in den Roman hätte integriert werden können. So allerdings könnte das Buch in jeder anderen Stadt spielen, ohne dass es auffallen würde.
Ein kleines Bisschen gestört hat mich zudem, dass nicht alles wirklich authentisch wirkt, doch darüber kann ich noch hinwegsehen, da es in meinen Augen kein völliger Stilbruch ist.

 

Fazit

 

Grotesque von Page Morgan ist ein überdurchschnittlicher Schauerroman mit ungewöhnlichen Fabelwesen. Die beiden weiblichen Hauptfiguren bestechen vor allem durch ihre Gegensätzlichkeit und ihre verborgenen Seiten, die nach und nach zum Vorschein kommen. Der blumige Sprachstil passt absolut perfekt zur Belle Époque, in der die Story spielt. Und besonders zum Schluss hin überrascht die Geschichte durch mitreißenden Szenen und unerwarteten Wendungen.
Leider nimmt der Perspektivenwechsel manchen Handlungssträngen die Spannung und auch die Kulisse des Paris im neunzehnten Jahrhundert bleibt viel zu sehr im Hintergrund, um seine ganze Wirkung entfalten zu können.
Wer ein Faible für Gargoyles hat, gerne Fantasyliteratur liest, die von den üblichen Jugendbüchern abweicht und mehr an originellem Übernatürlichen interessiert ist als an hundertprozentiger Authentizität, für den ist dieses Werk genau das Richtige.