Rezension

Unglaublich echt und echt gut

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

"Mein erster Gedanke war einfach nur: Scheiße, ich muss hier weg. Dabei dachte ich nur an mich. Nicht an meine Lehrer und Mitschüler, nicht mal an Joanne. Im ersten Moment dachte ich nur an mich. Und ganz ehrlich? Ich weiß, dass es den anderen auch so ging." (S. 10)

Es ist nur ein kurzer Moment, der dein ganzes Leben verändern kann, eine falsche Entscheidung, ein zu viel gesagtes Wort. Als ihr Mitschüler Matias, der von Miriam und ihren Freunden immer wieder gemobbt wurde, in der Schule Amok läuft und vor ihren Augen ihren Freund Tobi erschießt, ändert sich für Miriam alles. Verschwunden ist das lebenslustige, selbstbewusste Mädchen. Zurück bleibt nur unfassbare Leere, Wut und die quälende Frage: Warum? Warum hat Matias das getan? Warum hat Miriam ihrem Freund nicht geholfen? Und warum soll sie jetzt eigentlich noch weiterleben wollen?

Nach vielen Fantasy- und Dystopiegeschichten geht der Trend im Jugendbuchbereich dieses Jahr zu den Real-Life Geschichten über. Und hier tut sich gleich zu Jahresbeginn eine junge Debütautorin hervor, die mich mit ihrem Erstlingswerk unglaublich beeindruckt und zum Nachdenken angeregt hat wie kaum ein anderes Buch in letzter Zeit. Es geht um nichts anderes als die fundamentalsten Themen überhaupt: um Liebe, Freundschaft, um Mobbing, um den Wert des Lebens. All das verpackt Anna Seidl in eine unheimlich real wirkende Geschichte, die mich mit voller Wucht ins Herz getroffen hat.

Gerade eben hat sie noch in ihrer Klasse gesessen und gedacht, ihre Lateinschulaufgabe wäre das Schlimmste, das ihr an diesem Tag passieren könnte. Wenig später rennt Miriam mit ihren panischen Mitschülern durch die Flure und versucht, sich zu verstecken. Ein Schuss ist ertönt, kurz darauf noch einer. Und wenig später blickt Miriam in die kalten Augen von Matias Staudt, der gerade vor ihren Augen ihren Freund erschossen hat. Und nichts wird mehr sein, wie es einmal war...

Aus der Feder der damals gerade mal sechzehnjährigen Anna Seidl stammt diese Geschichte, die mich emotional wirklich sehr mitgenommen hat. Gespannt und schockiert habe ich am Buch gehangen und mitverfolgt, wie Miriam und ihre Mitschüler versuchen, nach dem grausamen Amoklauf mit dem Tod ihrer Freunde zu leben - und mit der Schuld, die besonders Miriams beste Freundin Joanne zu erdrücken scheint. Denn sie haben Matias gemobbt, ohne zu ahnen, was sie ihm damit antun. In Rückblicken beleuchtet Miriam ihr eigenes Verhalten und ist dabei schonungslos ehrlich. Auch ihre Wut auf ihre Eltern, die ihr immer wieder erzählen, dass sie schon wieder wird, ihre Liebe zu Tobi und ihre tiefe Verzweiflung werden unverfälscht und hautnah vermittelt und ich habe wirklich mit Miriam mitgelitten.

Es sind dabei nicht nur die Themen des Amoklaufs und der Trauerbewältigung, die dieses Buch zu etwas so Besonderem machen, sondern auch die Charaktere. In Filmen und Büchern erleben wir immer wieder, dass mutige Menschen ihr eigenes Leben riskieren und alle anderen retten. Oder dass sie Charakterstärke besitzen, stets für Schwächere eintreten und das Gute im Menschen repräsentieren. Doch im wahren Leben sieht das ganz anders aus. Nur selten zeigen wir Menschen hier selbstloses, heldenhaftes Verhalten und wir sind auch nicht immer nett und hilfsbereit zu allen. Genau deshalb hat Anna Seidls Geschichte auch so einen echten, realen Eindruck gemacht, denn die Charaktere entsprechen eben nicht diesem idealen Heldenbild, sondern sind normale Jungen und Mädchen, die wir alle vom Schulhof kennen und so empfinden und handeln, wie wir als Leser es wohl auch tun würden. Und gerade deshalb trifft einen die Geschichte umso mehr.

Mich konnte das Buch von Anfang an begeistern; lediglich zum Ende hin hat die Geschichte durch häufige Wiederholungen derselben Botschaft etwas nachgelassen. Ansonsten kann ich Anna Seidls Schreibtalent wirklich nur bewundern. In die wenigen Seiten hat sie so viel Gefühl und so heftige Themen gepackt und das alles absolut realistisch geschrieben, dass es mich bis zum Schluss mitgerissen und auch noch lange nach dem Ende des Buches beschäftigt hat. Was für ein Debüt!