Rezension

Unglaublich gut geschrieben

Das Ting - Artur Dziuk

Das Ting
von Artur Dziuk

Bewertet mit 5 Sternen

Linus, Adam, Kasper und Niu, vier junge Menschen die zusammen ein Start-Up gründen und eine App entwickeln: Das Ting. Es sammelt körperbezogene Daten seiner Nutzer, wertet sie ausund gibt darauf aufbauend Handlungs- und Entscheidungsempfehlungen. Das Ting wird immer weiter entwickelt und hat einen ganz unterschiedlichen Einfluss auf die vier. In "Das Ting" verfolgen wir jede der vier Figuren getrennt und sehen welche vielfältigen Möglichkeiten ein solches Programm bietet, aber auch welche Gefahren es mit sich bringt.

Die ersten Szenen im Buch waren mir etwas zu langatmig und langweilig doch recht schnell war ich gefesselt von der Geschichte. Sowohl Schreibstil als auch Sprache haben mir sehr gut gefallen ud das Lesen sehr leicht gemacht ohne dabei jedoch zu seicht zu sein. Ganz im gegenteil, es werden wichtige Punkte angesprochen und der Leser kann sich seine eigene Meinung zu bestimmten Fortschritten und Handlungen der Figuren machen. Die vier Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, sie alle haben ihre eigenen Macken und Charakterzüge, die einem mehr oder weniger zusagen. Was mich jedoch besonders fasziniert hat ist die Entwicklung, die alle durchlaufen. Oft gab es einen Wendepunkt, den ich so absolut nicht erwartet hatte und am Ende wurden nochmal so einige Sympathien ins Gegenteil verkehrt. Dziuk schafft es die Figuren sehr menschlich darzustellen, man hat nicht das Gefühl eine Geschichte erzählt zu bekkommen, sondern reale Menschen vor sich zu haben und ihr Leben zu verfolgen. V.a. in Niu konnte ich mir sehr gut hineinversetzen, sie ist anfangs ein sehr labiler Charakter ihre Ängste und die Verzweiflung haben sich echt angefühlt und ich meinte schon fast, es selbst zu spüren. Aber auch die anderen Figuren wirken sehr realistisch. Linus, ein junger Mann, der immer das Gefühl hat sich beweisen zu müssen und es den Menschen in seinem Umfeld recht machen will, ihnen gefallen will, Adam, der selbst als erwachsener und vermeintlich erfolgreicher Mann immer noch unter seiner Herkunft aus ärmlichen und ausländischen Verhältnissen leidet und für Erfolg auch über Leichen gehen würde, und schließlich Kasper, der reiche Sohn eines Milliardenunternehmens, der sich mit der Familie verwirft, da er seine eigenen Ideen und Ideale umsetzen möchte. Sie alle sind sehr unterschiedlich und schaffen es dennoch zusammen ein Start-Up zu gründen und zusammenzuarbeiten.

Beim lesen des Buches habe ich mir viele Zeilen angestrichen, die mich berührten, traurig machen, zum Lachen brachten oder zum Nachdenken brachten. In "Das Ting" werden Fragen aufgeworfen, wie wir mit dem Verlangen nach Selbstoptimierung umgehen wollen und auch sollen, was mögliche Konsequenzen sein könnten, wenn die Welt immer mehr nach Fortschritt und Optimierung strebt. Die vier Gründer sehen die Zukunft und den Nutzen des Ting alle sehr unterschiedlich, bezogen auch auf ihre ganz eigenen Charakterzüge. Ich fand es sehr spannend, die ganzen Gedanken mitzuerleben und zu sehen, welche Auswirkungen das Ting auf die unterschiedlichen Wesenszüge der Protagonisten hat. Immer wiede rhabe ich mich gefragt, ob so unsere zukunft aussehen wird. Die Vision der Gründer durch das Ting eine Selbstoptimierung zu erreichen klingt im ersten Moment vielleicht gut, aber wenn man es genauer betrachtet, verliert man dadurch doch viel mehr als man gewinnt. Nur aus Fehlern kann man lernen, sich weiter entwickeln, umdenken. Wenn einem all die eigenen Entscheidungen abgenommen werden, wenn man sich nur noch mit Menschen umgibt, die einem ein Programm vorschlägt, was bleibt einem denn dann noch vom Leben? Man verliert so viele spannende und schöne Momente. Es ist doch das eigene Leben, da sollte man die Entscheidungen auch selbst treffen, und nicht etwas tun, das sich nicht gut anfühlt, nur weil einem ein Programm dazu rät. Werden wir, wie einer der Protagonisten im Buch sagt, zum "Spielball eines Programms, das alles über [uns] weiß, nichts vergisst und [uns] Befehle erteilt. Wie ein Gott."? Insgesamt behandelt das Buch sehr wichtige und spannende Fragen, finde ich.

Einen kleinen Kritikpunkt am Ende habe ich jedoch: So stark und menschlich die Hauptcharaktere im Buch sind, so blass bleiben für mich leider die Nebencharaktere. Man muss jedoch auch sagen, dass sie insgesamt nicht so viel zur Handlung beitragen, weswegen ich darüber hinwegsehen kann.

Ich glaube so etwas wie das Ting zu beschreiben ist wirklich schwierig, aber durch die unterschiedlichen Charaktere bekommt man einen ganz guten Eindruck von den vielen Möglichkeiten und Risiken. Artur Dzuik hat mit "Das Ting" ein tolles Buch geschrieben, dessen Charaktere mich begeistern konnten und das mich zum Nachdenken angeregt hat. Der Klappentext kann zwar etwas andere Erwartungen wecken, doch wenn man sich bewusst macht, dass er hier nicht vorrangig um die technische Entwicklung eines Programms geht sondern um die Auswirkungen, die es auf Menschen haben kann, wird man durch die aufgeworfenen Fragen sehr zum Nachdenken angeregt.