Rezension

Unglaublich wie karg und reich das Leben gleichzeitig sein kann

In jenen hellen Nächten
von Roy Jacobsen

Bewertet mit 3 Sternen

Das Leben auf den norwegischen Inseln Anfang des 20. Jahrhunderts ist hart und einsam. Für die Familie Barrøy ist ihre Insel Lebensmittelpunkt, denn außer ihnen lebt hier niemand. Über mehrere Jahrzehnte wird das Zusammenspiel von Natur und Mensch beschrieben. Wer hier leben muss, hat sich den Naturgewalten anzupassen. Erst der technische Fortschritt führt zu Veränderungen, die das Gleichgewicht der Familie bedrohen.

Roy Jacobsen hat mit diesem Buch eine besondere Stimmung eingefangen. Der leise Einstieg in die Geschichte hat mir sehr gefallen. Um die Menschen zu verstehen, muss man erst mit der Natur vertraut werden. Sehr eindrucksvoll wird das raue Meer und die kleine karge Insel Barrøy beschrieben. Man hat eine ganze Galerie voller Bilder vor Augen. Das abgeschiedene, einsame Leben der kleinen Familie kann man sich gut vorstellen.

Hans und Maria Barrøy leben zusammen mit ihrer Tochter Ingrid, Hans Schwester Barbro und deren Vater Martin auf der Insel. Jeder hat seine festen Aufgaben, die nicht hinterfragt, sondern getan werden. Gerade in der Zeit, während Hans über Monate auf den Lofoten zum Fischfang unterwegs ist, scheint das Leben zu erstarren. Viel wird nicht gesprochen, denn alle Handgriffe wurden schon so oft durchgeführt, dass jedes Wort überflüssig erscheint.

Der Mensch bedeutet hier wenig. Der Kampf ums Überleben ist Alltag. Ob es eine große Dürre ist, die das wenige Trinkwasser gefährdet oder der Kampf mit einem Boot auf dem Meer, das Schicksal wird so genommen, wie es ist. Ihre kleine Welt zu verlassen und ein einfacheres Leben zu führen, wird für jeden nur kurz ein Gedanke, der gleich wieder verfliegt.

"Niemand kann eine Insel verlassen, eine Insel ist ein Kosmos im Taschenformat, wo die Sterne im Gras unter dem Schnee schlafen. Aber es kommt vor, dass jemand es versucht. Und an einem solchen Tag weht ein sanfter Ostwind."

Als Leser ist man Beobachter, wird bewusst von der Handlung ausgeschlossen. So werden die Charaktere auch eher oberflächlich und distanziert beschrieben.

"Es gibt auf der ganzen Welt keine Zwölfjährige, die mehr kann als Ingrid, sie ist eine Tochter des Meeres, die die wogenden Wellen nicht als Gefahr oder Bedrohung sieht, sondern als Weg und Lösung, für fast alles."

Obwohl der teilweise schon poetisch anmutende Schreibstil und die eindrucksvollen Naturschilderungen mich angesprochen haben, fehlte mir eine Handlung. Die Familie Barrøy blieb mir bis zum Ende fremd und emotionslos.