Rezension

Ungleiche Brüder

Nachsommer - Johan Bargum

Nachsommer
von Johan Bargum

Bewertet mit 4.5 Sternen

Olof Axelsson bleibt allein zurück auf der Veranda des Landhauses seiner Familie. Nach dem Tod seiner Mutter ist sein Bruder Carl samt Frau und Kindern wieder in die USA gereist und das Testament der Mutter hat zuvor einigen Staub aufgewirbelt. Olof fragt sich, wo auf seinem Lebensweg er einen Fehler gemacht hat. Wäre er Leichtathlet, würde er danach suchen, an welcher Stelle seiner Strecke er gestolpert ist. Carl und Olof lebten als Kinder mit der Mutter und Onkel Tom in den finnischen Schären bei Sibbo. Über die Betonung, dass Tom ein Onkel ist und ein eigenes Zimmer im Haus bewohnt, könnte man sich als Außenstehender wundern. Tom war anständig, sympathisch, geduldig mit den Brüdern – schlicht jemand, gegen den man als Jugendlicher nur schwer rebellieren kann. Spätestens als der jüngere Carl seinen älteren Bruder an Körpergröße und Körperkräften überragte, war klar, dass Carl stets der Lieblingssohn der Mutter sein und die besseren Karten haben würde. Auch beim Segeln sitzt schließlich der Stärkere hinten im Boot. Das Verhältnis von Mutter und Sohn könnte man sonderbar finden, speziell das nach Carls Auswanderung in die USA. Olof dagegen scheint viel verdrängt zu haben, so kann er sich kaum nach an seinen Vater und dessen Sterben erinnern.

Als Olof seinen Bruder vom bevorstehenden Tod der Mutter informiert, reagiert der ungehalten, reist nur widerwillig an. Die Vorgeschichte der Brüder erfährt man als Leser in winzigen Abschnitten und fragt sich von Absatz zu Absatz, warum Carl stets den Ton anzugeben scheint und Olof an dieser Stelle allein zurückbleibt. Wird Olof das Haus nicht behalten? Olofs Gedanken zu folgen, entpuppt sich als Herausforderung; denn der Übergang von Gegenwart und Vergangenheit ist nicht immer deutlich, auch nicht, von wem gerade die Rede ist. Vermutlich entspricht das Hin- und Herspringen in Gedanken Olafs seelischer Verfassung, der immer wieder Antworten in den Ereignissen der Vergangenheit sucht. Am Ende kommt es zu gegenseitigen Vorwürfen - und ein Familiengeheimnis ist aufzudecken.

Mit gerade einmal 140 Seiten ist Johan Bargums berührender Text eher eine Novelle. Auf mich hat die Beziehung zwischen den Brüdern, ihrer Mutter und Tom gewirkt, als würde ich ein Fischernetz voller unbekannter Wesen aus dem Wasser ziehen. Anfangs ist kaum zu ahnen, was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt; was jedoch ans Licht kommt, gibt noch lange Anlass zum Nachdenken.

Die Handlung spielt unter der schwedischsprachigen Minderheit Südfinnlands, das Original erschien zugleich in Finnisch und Schwedisch.