Rezension

Unheimlich..... fremdgesteuert

Thalamus
von Ursula Poznanski

Bewertet mit 4 Sternen

Spannendes, zum Nachdenken anregendes Zukunftsszenario über die Möglichkeiten der Manipulation menschlichen Handelns und Denkens

Der 17-jährige Timo verunglückt mit seinem Motorroller so schwer – heftige Knochenbrüche und Schädelhirntrauma - , dass er nach seinem Krankenhausaufenthalt zur Genesung in das abgelegene Rehazentrum Markwaldhof kommt. Timo freundet sich schnell mit dem unkomplizierten, stürmischen und direkten Carl an, der mit ihm regelmäßig Touren mit dem Rollstuhl durch die Klinik macht. Carl, der einen lebenslustigen Eindruck macht wirkt motivierend auf Timo und baut in immer wieder auf. Dass Timo nur rumstammelt spielt keine Rolle; nach und nach klappt auch die Kommunikation mit Händen, Füßen und Blicken.

Der Heilungsprozess bei Timo schreitet schnell voran. Ausnahme: Sprachzentrum und Feinmotorik wollen einfach nicht funktionieren! Hier gibt es einen Genesungs-Stillstand. Timo ist frustriert. Irritiert ist er jedoch, als er mitbekommt, dass er nachts ganz normal laufen kann und nachts kommt auch seine Sprache wieder. So schlafwandelt er und wird alle Nase lang in anderen Krankenzimmern wach. Neugierig studiert er die Krankenblätter, um mehr von seinen mehr oder wenigen fitten Mitpatienten zu erfahren. Diese sind im Markwaldhof, weil sie entweder eine Kopf- oder Wirbelsäulenverletzung hatten oder aber auch einen Schlaganfall. Timo kann es nicht fassen, er kann alles lesen, er versteht alles, kann es aber weder verbal ausdrücken, noch kann er es schriftlich auf Papier bringen. Und es kommt noch schlimmer. Auf einmal hört er eine fremde Stimme, die Anweisungen gibt, was er tun soll. Wie ferngesteuert läuft er durch die Gegend, kann auf plötzlich Dinge, die er vor dem Unfall nicht konnte.

Er denkt sich: „Was ist los mit mir? Geht es anderen auch so?“ Als er herausfindet, dass Jakob, ein Mitpatient auch ähnliche Erfahrungen macht, fangen sie an, diesem mysteriösen, schleierhaften Phänomen detektivisch auf den Grund zu gehen. Und als sie noch herausfinden, dass sie nonverbal miteinander kommunizieren können, und sogar die Gedanken des anderen lesen können wird ihnen klar, dass sie hier mit einem bedeutenden 'neu-medizinischen' Forschungsfeld konfrontiert werden.

Irgendjemand bzw. irgendetwas muss in den Köpfen der Markwaldhof-Patienten sein, dass diese Dinge machen, über das sie selber keine Kontrolle mehr haben.

Das Buch ist spannend geschrieben. Allerdings zieht sich die erste Hälfte des Buch etwas hin. Der Spannungsaufbau ist zwar gut gemacht, leider ab und zu etwas kaugummi-dehnend. Ab der Mitte nimmt die Geschichte aber wahnsinnig Fahr auft. Hier ist es schwer, mal eine Stelle zu finden, dass man das Buch beiseite legen kann, so fiebert man mit den Protagonisten mit. Man hält teilweise auch den Atem, da man fast schon Angst hat, bei den heimlichen Aktionen, die das zusammengewachsene „Patienten-Ermittler-Team“ angeht, entdeckt zu werden, so wird man in die Geschichte mit involviert.

Die Idee mit den Nanoboots (quasi Miniroboter, die im Idealfall dann so groß wie Blutkörperchen sind und Zellen reparieren können) ist faszinierend. Diese Vorstellung, dass man durch solche Mini-Computer-Einheiten manipuliert werden könnte, macht einen aber Angst. Was medizinisch vielleicht bei der Krebsbehandlung oder anderen Krankheiten im positiven Sinne bahnbrechend sein kann, kann aber auch für negative Ziele eingesetzt werden.

Ursula Poznanski ist hier ein super Szenario gelungen, das zum Nachdenken anregt, was die digitalen Möglichkeiten der Zukunft angeht.

Auch der Handlungsort, eine von der Umwelt weitgehend isolierte Klink, macht das ganze auch etwas unheimlich, gespenstisch und passt zur Geschichte.

Das Buch zieht allein schon durch das super gestaltete Cover seine Blicke auf sich. Meint man vielleicht erste eine Qualle zu sehen, wird einem nach dem Erfassen des Titels („Thalamus“) und Lesen des Klappentextes klar, dass es hier ums Gehirn gehen muss, in dem irgendwelche Ionen leuchten und darin arbeiten.

Ich kann das Buch wärmstens empfehlen, da die Protagonisten authentisch dargestellt werden, unabhängig ob sie eine sympathische, unsympathische oder eher neutrale Rolle einnehmen.

Timo war mir auf Anhieb sympathisch, da er natürlich, nett, warmherzig und wissbegierig ist und ein Augenmerk auf seine Mitpatienten hat, genauso wie der stürmische, geradeaus wirkende Carl.