Unkompliziertes, aber unterhaltsames Puzzle
Bewertet mit 4 Sternen
Atmosphäre und Handlung sind wunderbar verknüpft: Um das Leben der verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman ranken sich viele Geheimnisse. Ein verschwundener Ehemann und ihr zurückgezogenes Leben auf einer Insel führen bei Fans und den Medien noch immer zu Spekulationen. Als James Becker im Auftrag einer Stiftung nach Eris Island reist, um mit Vanessas Freundin Grace über den Nachlass sowie den aufkeimenden Verdacht zu sprechen, bei einer ihrer Skulpturen könnten menschliche Knochen verwendet worden sein, holt die Vergangenheit alle Beteiligten wieder ein.
Der Plot wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tagebucheinträgen, Erinnerungen und verschiedenen Protagonisten. Die entscheidende Frage wird gleich zu Beginn gestellt. Wohin ist Vanessas Ehemann seinerzeit verschwunden? Wurde er ermordet? Wenn ja - wer ist der Mörder?
Während die melancholische, Unheil verheißende Stimmung durch den Schauplatz der rauen, aufgrund der Gezeiten meist vom Festland abgetrennten Insel perfekt unterstrichen wird, tun sich beim psychologischen Unterbau Mängel auf. Ohne Spoiler lässt sich schwer ins Detail gehen. Vielleicht soviel: Die Motive der zentralen Figur scheinen mir zu planvoll in eine bestimmte Richtung gebeugt, um dem Buch einen Thrillertouch zu verleihen. Ähnliche Charaktere kennt man aus der Literatur. Sie wurden schon überzeugender entworfen.
Wenn man Kritik üben möchte, muss auch die Voraussagbarkeit genannt werden. Spätestens ab der Mitte ist im Grunde klar, wohin die Reise geht. Überraschungen bleiben dann auch tatsächlich aus. Weil diese Erkenntnis erst nach den letzten Seiten ganz ins Bewusstsein dringt, bleibt die Spannungskurve hoch. Paula Hawkins gelingt es, ihre Leser mit einem leise-beunruhigenden, zunehmend aufgewühlten Flair bei der Stange zu halten.
Dass nicht alle Handlungsfäden aufgelöst werden, werte ich eher positiv. Hier bleibt Raum für eigene Gedanken.
Fazit: Ein ruhiger, stilistisch gut komponierter Spannungsroman. Stimmungsvoll, fesselnd. In der Rückschau zu durchsichtig und psychologisch nicht ganz ausgereift. Ich fühlte mich trotzdem gut unterhalten.