Rezension

Unsinkbar II

Niemals
von Andreas Pflüger

Bewertet mit 5 Sternen

6 Sterne von 5 für dieses Buch, aber 10 Dinge, die ich an diesem Buch hasse  ;-)

 1. Ich habe es schon durch (selten habe ich eine Lektüre so hinauszuzögern versucht, um länger etwas davon zu haben)
 2. Das Buch hat zu wenige Seiten, nur knapp unter 500 (ehrlich, es hätten doch auch knapp 1000 sein können?)
 3. Es soll nur noch einen Folgeband geben
 4. Der 3. Band hat noch keinen mir bekannten Erscheinungstermin
 5. Andreas Pflüger versucht sich nicht einmal an irgendeinem Kitsch – keine neue Katze, keine andere Lösung für Luca, kein Kuschel-Kandidat für Aaron. Kein Angriffspunkt.
 6. Mir fällt schon wieder nichts besseres ein, als ein kläglicher Versuch des Annäherns an Aarons 10-Punkte-Listen
 7. Ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Schlafmangel, ja. Aber kein schlechtes Gewissen. Bis halb drei gelesen und dann um sechs Uhr raus geht schon. Also, wenn man muss.
 8. Ich finde Cover-Besessenheit sinnlos. Ich liebe dieses Cover.
 9. Ich mag diese Macho-Attitüden nicht. Ich liebe die Machos Aaron, Pavlik, Fricke, Lissek,…alle!
 10. Ich darf und kann leider keine Methoden anwenden wie die Abteilung oder ihre Gegner, um alle zum Erwerb dieses fantastischen Buches zu nötigen…Wobei mir Holms Schenkung dabei helfen würde, echt.

Aaron ist zurück. Der bei einem fehlgeschlagenen Einsatz erblindeten Jenny Aaron wurde eine Rückkehr zur „Abteilung“ angeboten, der geheimen Sondereinsatztruppe unterhalb des Berliner Innensenators mit ähnlichen Aufgaben wie SEK und GSG 9, allerdings durchaus einmal etwas außerhalb der Regeln, sie sind die „Bad Bank der deutschen Polizei“ S. 13. Doch Aaron hat mehr als ein Problem: da sind ihre angeknackste Psyche und eine Art „Geschenk“, das ihr völlig unerwartet ihr größter Widersacher gemacht hat. Die Konsequenzen aus letzterem kann sie nicht einmal erahnen…

Ich liebe die Sprache, wie sie Andreas Pflüger einsetzt, meist knapp, oft dialogreich, präzise, dazu ein ganz spezieller Humor: S. 277 „Seit dem Telefonat mit Aaron und Pavlik stapelt Inan Demirci Gedanken wie Bauklötze. Und am Ende fällt der Turm jedes Mal zusammen.“
oder
„Jansen hat ihn beseitigen lassen“, sagt Aaron.
„Spekulation.“
„Wahrscheinlichkeitsrechnung.“
„Vielleicht war er bloß Zigaretten holen.“
„Ja, wo der Wannsee am tiefsten ist.“ S. 240
 Lakonisch, ein wenig wie die Kommentare in den alten Marlowe-Filmen aus dem Off. Da besitzt Aarons früherer Chef Lissek ein Boot namens „Unsinkbar“, äh, nein, „Unsinkbar II“. Irgendwie wie Aaron selbst. Der Ton in der Truppe untereinander ist rau, man meidet den Vornamen, soll ja bei Beerdigungen leichter fallen. Hilft zwar nicht, trotzdem. Irgendwie „passt“ (Jenny) Aarons eher männlicher Nachname in diesen Trupp.

Moment, Sondereinsatztruppe – blind? Das war schon einer der Kritikpunkte mehrerer Leser an „Endgültig“, dem Vorgänger, wobei es eher als „überzogen“ oder „Superwoman“ formuliert wurde. Ich bin schon zu ängstlich für’s Kinderkarussell, mag aber Dokumentationen über Ausbildungen entsprechender Trupps – die sind ALLE „Super(wo)man“, körperlich und vor allem psychisch. Ein Beispiel, man findet dort mehr: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/ausbilder-von-kampfschw...
 GSG 9

https://www.youtube.com/watch?v=FMWJlTs10c4
  Und Jenny war dort schon vor der Verletzung, musste jetzt „nur“ Anpassungen an ihre Erblindung vornehmen, Balance, kleine Tricks wie das Klicken https://www.youtube.com/watch" target="_blank">https://www.youtube.com/watch?v=TeFRkAYb1uk
 dafür die gesteigerte generelle Wahrnehmung. Das ist exakt genau so wahrscheinlich wie die blinde Sabriye Tenberken, die Blindenschulen in Tibet aufgebaut hat, oder der fast blinde Saliya Kahawatte, der in der Gastronomie arbeitete, (fast) ohne dass jemand seine mangelnde Sicht bemerkte (es ist leider wahrscheinlicher, mit jeglicher Behinderung in Deutschland von Armut bedroht zu sein, ja, ich weiß, und man wird natürlich weder als Autist automatisch zu Rain Man noch als Blinder automatisch zum Superhelden).

Der Roman liest sich anspruchsvoller als für das Genre üblich, sprachlich, aber auch inhaltlich, mit Verweisen zu Kunst und Literatur, aber auch zu medizinischen oder psychologischen Themenpunkten (ich überlege seit gestern andauernd, wie ich die Rapport-Bildung trainieren könnte). Es ist definitiv KEIN Thriller für nebenbei, man muss bei den teils sehr dynamischen Dialogen und vielen Verweisen schon aufmerksam dabei bleiben. Mich begeistert das, ich empfehle aber „nebenbei“-Lesern die Leseprobe. Ebenso empfehle ich vorab die Lektüre von „Endgültig“ – es gibt kurze (nicht spoilernde) Zusammenfassungen in „Niemals“ zum Hintergrund, ich bin aber überzeugt, dass man ohnehin beide Bände lesen sollte. Ungeachtet dessen können beide Bücher einzeln gelesen werden, es geht hier nicht um die „Cliffhanger“-Masche, bei denen man die Lösung in Häppchen präsentiert bekommt.

 Dann zieh‘ ich mir mal noch das Hörbuch. War auch schon bei „Endgültig“ genauso ein Genuss. Nachtrag, da meine Texte immer über Nacht liegen, bis ich sie einstelle: Ich bin immer noch sauer, dass das Buch durch ist. Ich habe im Laufe des Tages mehrere Abschnitte zum zweiten Male genossen. Ich bleibe bei 6 Sternen von 5.