Rezension

Unterhaltsam, doch stellenweise zu ausufernd

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

Einmal in der Woche besucht Hannah ihre über 90 jährige Großmutter Evelyn in einer Berliner Seniorenresidenz. Bei einem ihrer Besuche entdeckt Hannah den Brief einer jüdischen Anwaltskanzlei, in dem es um verschollene Kunstschätze geht, auf die Evelyn anscheinend Anspruch hat. Hannah kann sich darauf keinen Reim machen. Bisher hatte sie keine Ahnung, dass sie jüdische Verwandtschaft hat. Evelyn blockt Hannahs Fragen dazu kategorisch ab, stellt Hannah jedoch eine Bevollmächtigung aus, damit sie sich um die Angelegenheit kümmern kann. Zuerst ist Hannahs Enthusiasmus eher mäßig, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt ist. Doch je mehr sie über ihre Urgroßmutter Senta erfährt, die eine erfolgreiche Journalistin und in zweiter Ehe mit Julius Goldmann verheiratet war, desto größer wird Hannahs Interesse der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Hannah gibt nicht auf endlich Antworten von Evenlyn zu bekommen, doch sie weigert sich weiterhin vehement über ihre längst verstorbene Mutter zu reden. Senta ist zwar ihre leibliche Mutter, aufgewachsen ist Evelyn allerdings in der Obhut ihrer Tante Trude. Trotzdem versteht Hannah nicht, warum ihre Großmutter partout kein Wort über die Vergangenheit verlieren will. Was ist damals vorgefallen? Hannah begibt sich auf die Suche nach den Gemälden und findet dabei auch zu sich selbst.

Der Roman mit dem etwas sperrigen Titel „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ handelt in erster Linie von Müttern und Töchtern. Vier Generationen von Frauen, die eines gemeinsam haben; sie suchen nach Erfüllung in ihrem Leben. Doch keine der Frauen findet diese ausschließlich als Hausfrau und Mutter.

Vordergründig geht es um verschollene Kunstgemälde, doch die Geschichte geht tiefer. Der Roman nimmt sich dem Thema an, auf welche Schwierigkeiten Frauen stoßen können, um ihrer Rolle im Leben gerecht zu werden. Sowohl Senta als auch Evelyn haben ihr Leben gestaltet und ihre Berufung gelebt. Die eine als Journalistin, die andere als Ärztin. Beide Frauen haben ihre Erfüllung in der Mutterrolle nur bedingt gefunden. Ihre Entscheidung für ein eigenständiges Leben, das nicht unbedingt den gesellschaftlichen Normen entspricht, führte auch zu Schuldgefühlen gegenüber ihren Töchtern. Sentas Versuche, sich um Evelyn zu kümmern, waren meist nur halbherzig. Evelyn hingegen hat versucht ihre Tochter zu unterstützen, wo immer sie konnte. Ansonsten hätte Silvia sich ihr freies Leben in der Form nie erlauben können. Zudem sorgt Evelyn für Hannah und ist für ihre Enkelin da.

Die Autorin wechselt kapitelweise zwischen den einzelnen Sichtweisen der Charaktere und den jeweiligen Zeiten. Hannah ist die Gegenwart, Senta lernen wir 1926 in Rostock kennen, als sie schon schwanger ist. Auf diese Weise erfahren wir als Leser*in viel über die einzelnen Figuren. Wir wissen, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen und wie sie die Dinge sehen. Dadurch kommt man den Figuren sehr nah und entwickelt eine entsprechende Verbindung. Alena Schröder hat einen ausgesprochenen flüssigen Schreibstil, der es dem Leser*in problemlos ermöglicht in die Geschichte einzutauchen. So unterschiedlich ihre Charaktere auch sein mögen, man spürt, wie sorgsam sie jeden einzelnen konzipiert hat.

Die Sichtweise auf die Frauenfiguren ist sehr erfrischend und ehrlich. Der Autorin ist es hervorragend gelungen, ihre Beweggründe verständlich zu machen. An einigen Stellen hatte ich allerdings den Eindruck, als ob die Autorin sich verzettelt. Einige angedeutete Handlungen verliefen im Nichts. Episoden, die keinerlei Bedeutung auf die Handlung haben, sind für mich nicht nachvollziehbar. Dazu gehört die angedeutete Beziehung zwischen zwei Männern. Ebenso unerklärlich ist mir der Teil mit dem ausgesetzten Baby. An einigen Stellen hätte ich mir mehr Fokus auf das Wesentliche gewünscht.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Figur des Doktorvaters. Zu Beginn erschafft die Autorin ein vielschichtiges Bild dieser Figur, welches leider am Schluss in einem belanglosen, oberflächlichen Klischee ausplätschert. Meiner Meinung nach wurde hier etwas verschenkt. Eine „erwachsene“ Auseinandersetzung zwischen ihm und Hannah hätte dem Anfang besser entsprochen, als dieser klischeehafte Abschluss, der auch für mich nicht Recht passen will.

 

Fazit

„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ist ein unterhaltsam geschriebener, stellenweise humorvoller Roman über vier Frauen unterschiedlicher Generationen, die sich ihrem Leben, ihren Bedürfnissen sowie den gesellschaftlichen Konventionen stellen. Zudem macht der Roman deutlich, wie groß die Schwierigkeiten sind, von Nationalsozialisten enteignete Kunst zurückzubekommen. Ein Thema, das bis heute an Aktualität nichts verloren hat.