Rezension

Unterhaltsamer, humorvoller, tiefgründiger Jugendroman, aber leider schwächer als das Debüt

Liebe ist so scheißkompliziert - Sabine Schoder

Liebe ist so scheißkompliziert
von Sabine Schoder

~ Auch dieses Mal liefert Sabine Schoder wieder eine wendungsreiche Geschichte voller Geheimnisse ab, die sehr gut unterhält und niemals langweilig wird. Die Autorin überzeugt wieder mit ihrem angenehmen, ehrlichen, aber trotzdem locker-flockigen Schreibstil voller gelungener Metaphern und Vergleiche, mit ihren lebendigen Dialogen und ihrem unvergleichlichen Humor. Auch die Protagonistin – eine authentische, schlagfertige junge Feministin, die für ihre Werte kämpft und dennoch von Selbstzweifeln geplagt wird, ist (wie auch die anderen Figuren) gut gelungen. Die herrlich unperfekte Liebesgeschichte konnte mich ebenfalls wieder überzeugen, weil ich mich selbst ein bisschen verliebt habe und beim Lesen ein Knistern und Kribbeln gespürt habe. Besonders begeistern konnte mich auch dieses Mal wieder die feinfühlige, altersadäquate Ehrlichkeit der Autorin, die sich nicht davor scheut, schwierige Themen wie Drogen, Sexualität, Sexismus, psychische Krankheiten und Suizid tiefgründig und urteilsfrei zu behandeln. Sabine Schoder bevormundet ihr Zielpublikum nicht, sondern nimmt es ernst und traut ihm zu, sich selbst eine Meinung zu bilden, was ich besonders als angehende Lehrerin sehr erfrischend finde! Nicht so gut gefallen hat mir, dass an einem Punkt für den Plot die Logik geopfert wurde und dass Nele sich in Bezug auf das Video nicht immer nachvollziehbar und vorbildhaft verhält, was ich besonders in einem Jugendbuch problematisch finde. Auch hätte man nach der Ohrfeige kritischer auf das Thema Gewalt in der Erziehung eingehen müssen. Leider ist das Buch insgesamt etwas schwächer als das Debüt; neben den genannten Kritikpunkten hat mir vor allem dieses gewisse Etwas gefehlt, das dieses Buch nicht nur gut, sondern großartig macht. Diese intensiven Emotionen, die mich beim Erstling geradezu überrollt haben, habe ich dieses Mal schmerzlich vermisst. ~

Inhalt

Nele fällt mit ihrer großen Körpergröße negativ auf, ansonsten ist sie an ihrer Schule aber eher unsichtbar. Außer ihrem besten Freund Tom hat sie keine Freunde, Jungs interessieren sich nicht für sie, weil sie sich von ihrer Größe eingeschüchtert fühlen. Eines Tages trifft Nele allerdings auf den Basketballstar der Schule: Jerome. Zum ersten Mal muss sie nicht nach unten schauen, wenn sie sich mit jemandem unterhält. Auf einer Party nimmt Nele unwissentlich Drogen zu sich und stürzt mit Jerome ab. Am nächsten Morgen ist er jedoch verschwunden und ein Video ist im Netz aufgetaucht, das Nele teilweise nackt zeigt. Hat Jerome es gemacht?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive (Nele)
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Es wird zwar Fleisch im Buch gegessen, Nele selbst ist allerdings überzeugte Vegetarierin! Dafür ein ♥!

Warum dieses Buch?

In Sabine Schoders Debüt „Liebe ist was für Idioten. Wie mich“ habe ich mich damals schockartig verliebt. Ich rechnete mit einem lockeren, oberflächlichen Jugendbuch und bekam ein tiefgründiges Meisterwerk, das mich aus den Socken gehauen hat! Dementsprechend musste ich auch dieses Buch wieder lesen (der zweite Teil von „Liebe ist was für Idioten. Wie mich“ steht natürlich auch noch auf der Wunschliste!) – und die Erwartungen waren sehr hoch. Da es im Vorfeld viel Kritik für den ursprünglichen Klappentext gab (der das schwierige Thema verharmloste) war ich natürlich doppelt so neugierig, wie die Autorin das Thema tatsächlich in der Geschichte behandelt.

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Normalerweise dauert das bei mir länger, aber: Schon nach wenigen Seiten war ich in der Geschichte angekommen. Das liegt bestimmt am lockeren, großartigen Schreibstil!

Schreibstil (♥)

„Babs Vorfreude fällt in sich zusammen wie ein Kuchen, den man zu früh aus dem Ofen geholt hat.“ E-Book, Position 804

Wenn ich ein Buch von Sabine Schoder lese, denke ich immer: „Das könnte ich auch schaffen! Auch ich könnte eine Autorin sein.“ Aber nicht, weil der Schreibstil so schlecht wäre, dass man sich sicher ist: „Das kann ich besser!“, sondern weil die Autorin das Geschichtenschreiben so einfach erscheinen lässt. Der Schreibstil ist unheimlich angenehm und flüssig zu lesen und kommt so locker-flockig daher, dass die Lektüre richtig Spaß macht. Scheinbar mühelos baut die Autorin dann noch ihren unvergleichlichen Humor (♥), lebendige Dialoge und unzählige gelungene Vergleiche und Metaphern ein, sodass das Lesen zum Genuss wird. Für Jugendliche (auch für Lesemuffel!) ist die Sprache perfekt geeignet, weil sich Sabine Schoder altersadäquat, ehrlich, einfühlsam und verständlich mit relevanten Themen beschäftigt und sowohl in emotionalen als auch in spannenden Szenen glänzen kann. Für mich gilt jedenfalls mittlerweile: Wer zu einem Buch von Sabine Schoder greift, kann eigentlich nichts falsch machen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„All die Kommentare auf seiner Seite, die danach fragten, ob er es [das Video] ihnen per WhatsApp zusenden könnte, waren allerdings noch da. Wie Unkraut, das man ausreißt, nur damit es an anderer Stelle wieder emporschießt. Das Internet mag verletzbar sein, aber töten kann man es nicht.“ E-Book, Position 2476

Am Beginn des Buches kann man die Autorin, die übrigens (und das finde ich als Österreicherin wunderbar) aus Österreich kommt, in einem ausführlichen Interview, das interessante Einblicke gibt, besser kennenlernen. Das hat mir schon einmal gut gefallen.

Wie auch schon beim letzten Buch hat mich auch hier wieder die feinfühlige, altersadäquate Ehrlichkeit der Autorin begeistert. Sie scheut sich nicht davor, schwierige Themen wie Drogen, Sexualität, Sexismus, psychische Krankheiten und Suizid aufzugreifen und sie sehr tiefgründig und urteilsfrei zu behandeln. Die Autorin bevormundet ihr Zielpublikum nicht, sondern nimmt es ernst und traut ihm zu, sich selbst eine Meinung zu bilden. Das finde ich besonders als angehende Lehrerin immer wieder sehr erfrischend und angenehm!

Im Vorfeld gab es in einigen Rezensionen Kritik, dass Sabine Schoder mit ihrem Buch die falsche Botschaft sende, weil sie es verharmlose, dass ein Mädchen nackt gefilmt und das Video im Netz verbreitet wird. Ich persönlich finde nicht, dass die Kritik berechtigt ist. Meiner Meinung nach kann man nämlich an Neles Beispiel sehr gut erkennen, welche schwerwiegenden Folgen das Auftauchen eines solchen Videos für das Opfer hat. Das finde ich sehr wichtig. Nicht so gut gefallen hat mich hingegen, das Nele nicht „richtig“ handelt (und somit kein Vorbild für Betroffene sein kann), also nicht mit Erwachsenen redet und eine Anzeige erstattet. Einmal sagt sie sogar, dass sie das Video einfach nur vergessen will und keine weiteren Schritte einleiten möchte, was ich vollkommen unverständlich und unglaubwürdig fand. Denn das Internet vergisst schließlich nie! Daher sollte man alle rechtlich möglichen Schritte unternehmen, um dieses Video einer Minderjährigen aus dem Netz zu entfernen. Mir kommt es leider so vor, dass hier aus Plot-Gründen die Logik geopfert wurde. Das ist schade.

Ebenfalls etwas problematisch finde ich, dass Nele eine Ohrfeige von ihrer Mutter bekommt und dass diese Gewalt in der Erziehung nicht thematisiert und kritisiert, sondern schnell abgehandelt und wieder vergessen wird. Das ist kritisch zu sehen, weil auch heute noch unzählige Kinder unter körperlichen Züchtigungen leiden – und das obwohl das inzwischen seit vielen Jahren gesetzlich verboten ist. Daher mein Appell an euch: Schaut nicht weg! Egal ob es Gewalt in der Erziehung, Sexismus oder sexualisierte Gewalt / Belästigung betrifft, egal ob eure Nachbarn, Freunde oder Familienmitglieder betroffen sind – und vor allem: egal ob sie Opfer oder Täter sind. Lasst nicht zu, dass so etwas in eurem Umfeld passiert!

Obwohl Sabine Schoder uns auch dieses Mal eine wendungsreiche Geschichte voller Geheimnisse präsentiert, die sehr gut unterhält und niemals langweilig wird, hat mir (neben meinen schon genannten Kritikpunkten) doch das gewisse Etwas gefehlt, das dieses Buch nicht nur gut, sondern großartig macht. Diese intensiven Emotionen, die mich bei ihrem Debüt geradezu überrollt haben, fehlten mir. Das Ende fand ich rund und gelungen, auch wenn es mir nicht für immer im Gedächtnis bleiben wird.

Protagonistin (+)

Mit Nele wurde wieder eine sympathische Protagonistin geschaffen, mit der sich Jugendliche wohl sehr gut identifizieren können, da sie wie viele Teenager von großen Selbstzweifeln geplagt wird, besonders was ihren Körper betrifft. Andererseits ist sie in anderen Momenten auch wieder sehr stark, schlagfertig und selbstbewusst und kämpft für ihre Werte und Ideale. Trotzdem macht sie auch Fehler und ist nicht perfekt. Eine gelungene Mischung! Besonders toll finde ich, dass Nele sich als überzeugte Feministin sieht. Das ist wundervoll, denn genau diese Art von Protagonistinnen (die sich ganz selbstverständlich als Feministinnen begreifen) brauchen wir in Jugendbüchern! Trotz allem konnte mich Nele nicht ganz so verzaubern wie damals Viki, die einfach großartig war. Mir war Nele etwas zu fixiert auf ihre Größe; zudem ist sie nicht so erinnerungswürdig und einmalig wie Viki, die ich auch nach Jahren immer noch im Kopf habe.

Figuren (+)

Auch die anderen Figuren sind wieder sehr gut, liebevoll und glaubwürdig ausgearbeitet und überzeugen durch die Bank und bis in die Nebenrollen. Trotzdem war dieses Mal leider kein Jay dabei!

Liebesgeschichte (♥)

Die herrlich authentische, unperfekte Liebesgeschichte konnte mich übrigens wieder vollkommen überzeugen. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber die Autorin schafft es immer, dass ich mich auch ein bisschen in die Person verliebe und dass ich beim Lesen dieses Kribbeln und Knistern spüre! Und das liebe ich!

Humor (♥)

Der oft schwarze Humor und die Situationskomik waren erneut ein Genuss! Großartig, alleine dafür würde es sich eigentlich schon lohnen, zu Büchern der Autorin zu greifen!

Spannung & Atmosphäre (+)

Obwohl dieses Buch vielleicht keine atemlose Spannung enthält, fliegt man aufgrund des lockeren Schreibstils nur so durch die Seiten. Es gibt auch dieses Mal wieder viele Geheimnisse und unerwartete Wendungen, die entdeckt werden wollen – und wieder macht das Lesen großen Spaß!

Feministischer Blickwinkel (+)

Vieles, was diesen Aspekt betrifft, finde ich sehr gelungen: Nele ist eine Feministin, kritisiert immer wieder Sexismus, Stereotype und zieht traditionelle Rollenbilder ins Lächerliche. Zudem arbeiten beide Eltern Vollzeit. Andererseits kocht fast immer die Mutter (die übrigens zum Geburtstag ein Waffeleisen bekommt, damit sie alle noch besser bekochen kann) und es gibt wenige Szenen, in denen gegenderte Beschimpfungen wie Schlam**, Miststück und Zicke auftauchen. Irgendwo wird zudem angedeutet, dass Mädchen, die im Drogenrausch ausgenutzt werden, selbst schuld wären, was ich nicht in Ordnung finde. Insgesamt, überwiegen die positiven Aspekte dennoch bei weitem die negativen, weswegen ich insgesamt zufrieden bin.

„Keine Ahnung, woran Leute denken, wenn sie die gute alte Zeit in den Himmel loben. An Frauen jedenfalls nicht.“ E-Book, Position 425

Mein Fazit

Auch dieses Mal liefert Sabine Schoder wieder eine wendungsreiche Geschichte voller Geheimnisse ab, die sehr gut unterhält und niemals langweilig wird. Die Autorin überzeugt wieder mit ihrem angenehmen, ehrlichen, aber trotzdem locker-flockigen Schreibstil voller gelungener Metaphern und Vergleiche, mit ihren lebendigen Dialogen und ihrem unvergleichlichen Humor. Auch die Protagonistin – eine authentische, schlagfertige junge Feministin, die für ihre Werte kämpft und dennoch von Selbstzweifeln geplagt wird, ist (wie auch die anderen Figuren) gut gelungen. Die herrlich unperfekte Liebesgeschichte konnte mich ebenfalls wieder überzeugen, weil ich mich selbst ein bisschen verliebt habe und beim Lesen ein Knistern und Kribbeln gespürt habe. Besonders begeistern konnte mich auch dieses Mal wieder die feinfühlige, altersadäquate Ehrlichkeit der Autorin, die sich nicht davor scheut, schwierige Themen wie Drogen, Sexualität, Sexismus, psychische Krankheiten und Suizid tiefgründig und urteilsfrei zu behandeln. Sabine Schoder bevormundet ihr Zielpublikum nicht, sondern nimmt es ernst und traut ihm zu, sich selbst eine Meinung zu bilden, was ich besonders als angehende Lehrerin sehr erfrischend finde! Nicht so gut gefallen hat mir, dass an einem Punkt für den Plot die Logik geopfert wurde und dass Nele sich in Bezug auf das Video nicht immer nachvollziehbar und vorbildhaft verhält, was ich besonders in einem Jugendbuch problematisch finde. Auch hätte man nach der Ohrfeige kritischer auf das Thema Gewalt in der Erziehung eingehen müssen. Leider ist das Buch insgesamt etwas schwächer als das Debüt; neben den genannten Kritikpunkten hat mir vor allem dieses gewisse Etwas gefehlt, das dieses Buch nicht nur gut, sondern großartig macht. Diese intensiven Emotionen, die mich beim Erstling geradezu überrollt haben, habe ich dieses Mal schmerzlich vermisst.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Humor: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt vier zufriedene Lilien!