Rezension

Unterhaltsamer Roadtrip mit Schwächen

Blanca - Mercedes Lauenstein

Blanca
von Mercedes Lauenstein

~ „Blanca“ ist ein verrückter Roadtrip, der viele gute Ansätze beinhaltet, der mich aber nicht ganz für sich gewinnen konnte. Der Schreibstil ist einfach, flüssig und angenehm lesbar, enthält interessante Reflexionen einer 15-Jährigen, gelungene Metaphern und anschauliche Beschreibungen der Schauplätze. Leider war mir die Sprache mit ihren vielen Parataxen oft zu einfach und zu wenig anspruchsvoll und enthielt mir zu viele Wiederholungen (z. B. gleiche Satzanfänge). Blanca ist eine liebevoll ausgearbeitete, starke, mutige Protagonistin, die ich sehr mochte, bei den Nebenfiguren blieben leider viele blass und austauschbar. Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, andere werde ich aber leider schnell wieder vergessen haben. Viel Neues, Außergewöhnliches bietet die Geschichte nämlich nicht. Insgesamt hätten dem Buch mehr Handlung, mehr Spannung, eine klarere Struktur und mehr Tempo gutgetan, auch wenn ich in manchen Momenten durchaus mitgefiebert habe. „Blanca“ hat mich insgesamt stellenweise wirklich gut unterhalten, konnte mich letzten Endes jedoch nicht ganz überzeugen. ~

Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges Zuhause. Nach einem weiteren Streit mit ihrer impulsiven, schwierigen Mama reicht es Blanca endgültig. Sie nimmt sich kurzerhand das ersparte Geld und reißt aus. Ihre Reise führt das 15-jährige Mädchen nach Italien. Ihr Ziel: das Haus von Karl und Toni, wo sie in ihrer Kindheit ein wunderschönes Jahr verbracht hat. Doch was in ihrer Planung ein einfacher Trip von A nach B ist, gestaltet sich in der Realität viel schwieriger, Blanca muss Umwege nehmen und lernt dabei viele kuriose und interessante Persönlichkeiten kennen.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch / Roman
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 256
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält oder verletzt, aber eine Frau fängt eine Ente, um sie später zu töten. Blanca hingegen behandelt Tiere sehr gut, streichelt eine Katze und rettet sogar die Würmer aus ihren Kirschen.

Warum dieses Buch?

Für dieses Buch sprach die @Buchkolumne eine große Empfehlung aus, erst dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Gleich der erste, etwas verrückt klingende Satz mit seinem humorvollen Unterton hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn der Anfang aufgrund der Rückblenden wenig Tempo besaß, dauerte es nur ein paar Seiten, bis ich mich bereits mitten in der Geschichte befand und bereit war, mich mit Blanca auf ihren abenteuerlichen Roadtrip zu begeben.

„Hätte die Auflaufform mich getroffen, wäre alles anders gekommen. Aber ich sprang gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer und schlug die Tür hinter mir zu.“ Buchbeginn, E-Book, Position 44

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil von Mercedes Lauenstein ist flüssig und angenehm und schnell lesbar. Auch wenn das Buch eigentlich nicht offiziell als Jugendbuch eingeordnet ist (und es scheint sich tatsächlich irgendwo zwischen Jugendliteratur und Erwachsenenroman zu verorten), so wird die einfache Sprache jungen LeserInnen sicher gefallen. Mir gefielen sowohl Blancas treffende Beobachtungen als auch ihre intelligenten, unkonventionellen, manchmal von jugendlicher Verrücktheit geprägten Reflexionen und Gedanken. Die vielen Bandwurmsätze, meist mit Beistrich verbundene Hauptsätze (Parataxen), spiegeln Blancas Ruhelosigkeit, ihr Nirgends-Ankommen und Nirgendwo-zu-Hause-Sein sehr gut wider. Jedoch haben mich die vielen sprachlichen Wiederholungen, gleichen Satzanfänge und der fehlende Anspruch des Schreibstiles beim Lesen zunehmend gestört. Eine etwas feingeschliffenere Sprache hätte das Buch mit Sicherheit noch besser gemacht.

„Kurze Zeit später lag meine Mutter mit einer Grippe im Bett. Ich fragte sie, ob sie jetzt dran sei mit Sterben. ‚Kann sein‘, sagte sie, ‚es kann immer alles sein, Blanca, daran musst du dich gewöhnen.‘ Sie sah mich mit dramatischem Ernst an und strich mir über den Kopf.“ E-Book, Position 100

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Im Zentrum der Geschichte steht unter anderem Blancas komplizierte, von Hassliebe geprägte Beziehung zu ihrer impulsiven, intelligenten, nur 16 Jahre älteren Mutter, die sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwirft und stets erfolglos dem Glück nachjagt. Es ist eine Frau, die ihre Stimmungsschwankungen an ihrem Kind auslässt und immer wieder fragwürdige Erziehungsmethoden anwendet. Blancas Kindheit war schwierig, geprägt von ständigem Umziehen, teilweise litten Tochter und Mutter sogar Hunger. Eines wurde Blanca immer verwehrt: ein Zuhause. Deshalb begibt sich das Mädchen auch auf diese Reise mit dem Ziel, jenen Ort aufzusuchen, der für es am nächsten an eine Heimat herankommt.

Aber auch andere, für Roadtrip-Romane typische Elemente und Themen lassen sich in diesem Buch finden: Es geht um Unabhängigkeit, Erwachsenwerden, Freundschaft, Abenteuer, verrückte Bekanntschaften, verschiedene Lebensentwürfe und das verwegene Sich-alleine-Durchschlagen. Nicht alle Aspekte werden jedoch mit Tiefe behandelt. Auch vor empfindlichen Themen wie Alkohol- und Zigarettenmissbrauch und Beschreibungen von Blancas Liebesleben schreckt die Autorin nicht zurück, meist sind Blancas Partner fast oder sogar tatsächlich doppelt so alt wie sie. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich das Verhalten der Männer, die keine moralischen Bedenken haben, ein 15-jähriges Mädchen auszunutzen, echt angewidert hat.

Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, vieles werde ich aber leider sehr schnell wieder vergessen haben. Dafür bietet „Blanca“ einfach zu wenig Neues, Innovatives. Zudem hat die Geschichte erstaunlich wenig Handlung. Besonders im letzten Viertel hatte ich das Gefühl, dass ihr die Puste ausging. Mehr größere Höhepunkte, mehr Handlungsstränge und eine gerafftere, klarere Struktur hätten dem Buch mit Sicherheit gutgetan. Zum Schluss: Obwohl das Ende relativ offen ist, finde ich es passend – auch wenn ich gerne gewusst hätte, wie es mit Blanca weitergeht. Viele Fragen bleiben leider unbeantwortet.

Protagonistin (♥)

Blanca ist eine tolle Heldin, die ich schnell ins Herz geschlossen habe. Sie ist liebevoll und komplex gezeichnet, ihre Entwicklungen, Wünsche, Ängste und Träume sind glaubwürdig, ihr Verhalten stets nachvollziehbar. Ich fand es toll, wie mutig und frech sie ist, wie tiefgründig sie die Welt und die Menschen analysiert und wie empathisch sie oft handelt. Bei Rückschlägen habe ich mit ihr gelitten, ihre Hassliebe zur Mutter konnte ich sehr gut nachvollziehen. Oft hat Blanca mir, bei allen Gemeinheiten, die sie ertragen muss, auch sehr leidgetan. Interessant fand ich auch die teilweise synästhetischen Schilderungen – so haben für Blanca Geräusche zum Beispiel auch eine bestimmte Farbe und Form. Stellenweise hat mich Blanca mit ihren kleinen Verrücktheiten, ihren kindlichen Momenten und ihren davongaloppierenden Gedanken an June aus „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ erinnert – wer dieses wundervolle Buch übrigens noch nicht kennt, sollte dies unbedingt nachholen!

"Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.“ E-Book, Position 677

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Die Nebenfiguren hingegen sind nicht alle so gut gelungen. Manche (wie die Mutter) überzeugen mit einer starken Persönlichkeit, mit authentischen Schwächen und Stärken, andere bleiben – wohl auch aufgrund der winzigen Rollen, die sie im Buch spielen – sehr blass und farblos. Besonders gemerkt habe ich das, als sich Blanca an einer Stelle an all die Menschen erinnert, die sie auf ihrer Reise bereits getroffen hat – manche hatte ich schon wieder völlig vergessen.

„Meine Mutter sagt, das ist die große Traurigkeit. Ich hab sie mal gefragt: Welche Traurigkeit? Sie hat gesagt: die des Lebens. Einige haben die, andere nicht. Wenn man sie hat, entkommt man ihr nicht. Man fühlt nur dauernd diese unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das nicht zu bekommen ist, und weil diese Sehnsucht unauflösbar bleibt, sammelt sie sich als Traurigkeit im Bauch.“ E-Book, Position 316

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Vor allem die erste Hälfte habe ich, was Spannung und Atmosphäre betrifft, sehr stark gefunden. Ich habe sehr mit Blanca mitgefiebert und war gespannt auf ihr Abenteuer. Die Beschreibungen der italienischen Städte mit all ihren schönen und weniger schönen Seiten, mit ihren vielfältigen Gerüchen und verschiedenen Stadtteilen waren sehr anschaulich und gelungen. Vor allem im letzten Viertel des Buches trat die Geschichte dann leider etwas auf der Stelle, aufgrund der sich wiederholenden Begegnungen mit fremden Menschen erschien mir mancher Abschnitt etwas langatmig. Dieser Eindruck hängt sicher mit dem handlungsarmen Plot zusammen. Ein großer Pluspunkt ist jedoch, dass die Geschichte niemals vorhersehbar ist und so manche unerwartete Wendung bietet.

Feministischer Blickwinkel (+)

Was das Thema Geschlechterrollen betrifft, bin ich insgesamt mit diesem Buch sehr zufrieden. Auch wenn ihre Mutter Blanca hin und wieder unangemessene Tipps zum Umgang mit Männern (und generell Leuten) gibt und auch wenn es ein Beispiel von Slutshaming gibt, so ist Blanca doch eine unkonventionelle, starke, mutige Heldin, die sich nicht in gesellschaftlich verlangte Rollenbilder drängen lässt. Zudem gestaltet Blanca auch ihr Liebesleben selbstbestimmt so, wie es ihr gefällt, ohne sich jemals Vorwürfe dafür zu machen. Auch Blancas Mutter ist eine Rebellin, die für ihre Überzeugungen kämpft und zum Beispiel einfach von zu Hause ausriss, als ihre Ärzte-Eltern sie zu einer Abtreibung zwingen wollten. Das gefällt!

Mein Fazit

„Blanca“ ist ein verrückter Roadtrip, der viele gute Ansätze beinhaltet, der mich aber nicht ganz für sich gewinnen konnte. Der Schreibstil ist einfach, flüssig und angenehm lesbar, enthält interessante Reflexionen einer 15-Jährigen, gelungene Metaphern und anschauliche Beschreibungen der Schauplätze. Leider war mir die Sprache mit ihren vielen Parataxen oft zu einfach und zu wenig anspruchsvoll und enthielt mir zu viele Wiederholungen (z. B. gleiche Satzanfänge). Blanca ist eine liebevoll ausgearbeitete, starke, mutige Protagonistin, die ich sehr mochte, bei den Nebenfiguren blieben leider viele blass und austauschbar. Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, andere werde ich aber leider schnell wieder vergessen haben. Viel Neues, Außergewöhnliches bietet die Geschichte nämlich nicht. Insgesamt hätten dem Buch mehr Handlung, mehr Spannung, eine klarere Struktur und mehr Tempo gutgetan, auch wenn ich in manchen Momenten durchaus mitgefiebert habe. „Blanca“ hat mich insgesamt stellenweise wirklich gut unterhalten, konnte mich letzten Endes jedoch nicht ganz überzeugen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Worldbuilding: 3.5 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!