Unterhaltsames, liebenswertes Roadmovie.
Bewertet mit 4 Sternen
Das letzte ersterbende Geräusch, das der Anlasser des alten Opel Corsa von sich gab, war gleichzeitig der Tropfen, der das Fass in Isolde Magnussens Leben zum Überlaufen brachte. Als erfolgreiche Synchronsprecherin für Judy Durham hatte ihre Stimme die Rolle der Tierärztin in der TV-Erfolgs-Serie "Praxis Dr. Eppingham" übernommen, doch mit Frau Durhams Ausscheiden hatte auch sie die Kündigung in der Tasche. Von Ehemann Carsten, dessen siebzehn Jahre währende Begleitung noch wenig Höhen und Tiefen vermittelte und der eigentlich beruflich eine Eignung für ganz andere Problemlösungen hatte - er war nämlich Physiklehrer - kam der vorsichtige aber deprimierende Tipp, sich aus Altergründen vom Job zurückzuziehen und die pubertierende Tochter Lisa schätzte sie zwar als Chauffeurin - sofern sie pünktlich war - kritisierte ansonsten jedoch recht lieblos an ihr herum.
Das war die Situation, die Isabel auf die Straße brachte - und zwar mit dem hochgestellten Tramperdaumen, der sie aus der bewegungslosen Situation mit dem schweigenden Corsa erlösen sollte.
Ein uralter, olivgrüner Landrover mit einer weißhaarigen, älteren Lady als Fahrerin erwies sich als Engel der Landstraße und nahm die Anhalterin an Bord. Dumm war dabei nur, dass Viktoria, so hieß die Besitzerin, nicht nach Hamburg sondern erst einmal nach Prag fahren wollte, um von dort über den Balkan hinweg nach Istanbul zu kommen und Can, ihre Jugendliebe zu suchen. Viktoria hatte während der sechziger Jahre in Berlin türkische Sprache studiert und die Beiden hatten sich während eines Gastsemesters in Istanbul ineinander verliebt. Nach Viktorias Weigerung, in der Türkei zu bleiben und der Rückkehr in ihre Heimat vor 48 Jahren hatte sie nichts mehr von Can gehört.
Lange musste Isolde nicht überlegen. Was hielt sie hier? Warum nicht auch noch einmal in die Speichen des Lebensrades greifen und ihm einen neuen Schwung geben? Also ging's zu zweit Richtung Istanbul - aber das war leichter gesagt als getan, denn Beschwernisse gab's genug, wenn zum Beispiel an Stelle des gestohlenen Rovers ein Leichenwagen zum Transport dienen musste oder ein Segeltörn im problematischen Marmarameer drohte, weil die finanziellen Mittel nicht mehr erlaubten und auch eine vorhandene Pistole zum Selbstschutz im Gespräch war.
Konnte man auf diesem mehr als abenteuerlichen Kurs Verlorengeglaubtes wiedertreffen oder begab man sich unbedachtsam sogar in große Gefahr?
Mia Sassen hat detailverliebt, mit flüssiger Feder und Spaß an skurrilen, liebenswerten Protagonisten eine phantasievolle Aussteiger-Story geschrieben.
Viktoria und Isolde sind zwei Frauen unterschiedlichen Alters, die durch einen Zufall zusammenfinden, deren Beisammensein nicht nur - wie bei Anhaltern allgemein üblich - ein paar Kilometer überdauern würde, sondern zu einem spannenden, unterhaltsamen Roadtrip über den Balkan geworden ist.
Auf anregende und kurzweilige Art lässt die Autorin den Leser an den ungewöhnlichen, humorvollen und herzerfrischenden Erlebnissen teilnehmen, denen sich die beiden Ladys stellen müssen - und sie tun es mit dem ganzen Kontingent, das Frauen besitzen, die witzig und einfühlsam, ein bisschen verrückt und spitzbübisch sind, aber gleichzeitig mutig, voller Liebe und Verständnis, mit einer gehörigen Portion Durchhaltevermögen, Verstand und Selbsterkenntnis - sie geben eine Klasse Vorstellung. Sicher spielt ihnen auch das Schicksal etwas in die Hände und ein bisschen "Heile-Welt-Kulisse" stellt den Rahmen für diese launige Geschichte. Aber insgeheim wünschen wir uns das selbst doch dann und wann und sind nicht traurig, wenn es uns begegnet.
Und hier eine Buchungsempfehlung für diese Reise als lesenswerte Sommerlektüre.