Rezension

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Unterhaltung mit Tiefgang

Die seltsame Reise mit meinem Bruder - Renée Karthee

Die seltsame Reise mit meinem Bruder
von Renée Karthee

Bewertet mit 5 Sternen

Das Cover ist eine Wucht und animiert zum Lesen!

Nachdem sie das Studium geschmisssen hatte, zog Nelly Schrader aus der dt. Provinz nach Hamburg, um  sich mit ihrem eigenen Unternehmen selbständig zu machen. Ihre kleine  Cateringfirma "Pausenbrot" hat einen Angestellten, den Inder Ashok, und der Stullen vertickende Foodtruck läuft gut, bis sich die Konkurrenz anmeldet, ebenfalls mit einem Foodtruck, und Nelly das Geschäft vermiest. Zu allem Überfluß soll Nelly auch noch zuhause auf ihren gehandicappten Bruder Nils aufpassen, obwohl sie mit ihrem Umzug so viel Distanz wie möglich geschaffen hat. Doch da die Mutter im Krankenhaus liegt, stellt sich Nelly höchst widerwillig  heim.

Und dann geht's ab nach Großbritannien, denn Nelly & Nils sind zur Hochzeit ihres Cousins eingeladen, und langsam , aber sicher findet bei Nelly ein Umdenken statt, denn ein sympathischer Schotte bringt sie ins Grübeln...

Stil und Sprache haben mir unheimlich gut gefallen, die eingefügten Rezepte liessen mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auch Nils' Postkarten fand ich spitze. Die ersten zwei Drittel des Buches fand ich fantastisch, das letzte aber deutlich schwächer.

Anfangs hütet sich die Autorin vor Kitsch und Banalitäten, doch dann wird es doch klischeehaft.
Manches am Buch fand ich nicht stimmig : Zum Beispiel, dass Nils Krankheit nie genau bestimmt wurde. Man hätte ihm doch die richtige Therapie bieten können im Falle einer genauen Diagnose.
Ergotherapie, Physiotherapie etc.

Dann ist der Küchenzauberer "natürlich" Inder - das gab es in Film und Literatur schon so oft, "Lunchbox" lässt grüßen.

Nellys Beau ist natürlich ein kerniger Schotte, der - wie könnte es anders sein - ein richtiger Mann ist.
Das Verständnis für Nils bringt er auf, weil auch seine Schwester einen schweren Start ins Leben hatte. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte Nils einfach "grundlos" akzeptiert.

Nelly ging mir anfangs mit ihrer Lamentiererei gehörig auf den Senkel, und doch ist die Figur ein Spiegel des Zeitgeistes.
Ich war dann versöhnt, weil es ein paar richtig starke Szenen gab - etwa, als Nelly die Unmenschlichkeit im Heim nicht geheuer war, oder als sie auf der Hochzeit die Isolation ihres Bruders anprangerte.

Und der offene Schluss war einfach klasse, keine Spur von Kitsch.

Das Buch ist mein Sommerhighlight 2015 und ich spreche gerne eine Leseempfehlung aus!