Rezension

Verblüffende Wende ohne Triggerwarnung

Das Seidenraupenzimmer - Sayaka Murata

Das Seidenraupenzimmer
von Sayaka Murata

Bewertet mit 2 Sternen

Die knapp 35-jährige Natsuki lebt mit ihrem Mann in einer ungewöhnlichen Beziehung, die beide in erster Linie vor Druck und Einmischungen der Eltern schützen soll. In der Ichform erzählt die junge Frau rückblickend vom Haus ihrer Großeltern in Akishima in der Provinz Nagano, in das ihre Familie jährlich zum Ahnenfest Obon reiste. Natsuki hatte ein knappes Dutzend Cousins, etwas weniger Cousinen und einen kinderlieben Onkel, den sie alle besonders liebten. Das Seidenraupenzimmer im großen Bauernhaus der Großeltern wurde früher tatsächlich zur Seidenraupenzucht genutzt und dient der Familie heute als Gästezimmer.

Als Natsuki sich mit circa 11 Jahren in ihren Cousin Yu verliebt, erklärt er ihr überraschend, dass es für ihn völlig normal sei, eine Cousine mit Zauberkräften zu haben, die in Wirklichkeit ein Alien sei. Obwohl Natsukis ältere Schwester Kise das in der Schule gemobbte Problemkind war, dem  beim Autofahren auf schmalen Gebirgsstraßen schlecht wurde, füllte die jüngere Schwester die Rolle des Familien-Sonderlings aus. Gemeinsam mit ihrer Plüschmaus Pyu beschützt sie nämlich durch Zauberkräfte die Erde. Mit Yu, den wiederum seine Mutter für einen „Alien“ hält, schwört sie sich ewige Treue und die Wahrung all ihrer Geheimnisse. Zugleich mit dem Einsetzen der Pubertät erlebt Natsuki etwas, das eine deutliche Triggerwarnung erhalten sollte und nach dem sie sich darauf fixiert, ihr Leben würde ihr nicht mehr gehören. Wo auf der Skala zwischen Pubertätskrise und durchgeknallt sich Natsuki befindet, ist Ansichtssache. Mit ihrer höchst eigenwilligen Sicht aus jugendlicher Perspektive konnte sie mich faszinieren; denn sie hält sich als Frau für wertlos und sieht sich allein als Werkzeug in einem Fabrikationsprozess. Es geht im Roman u. a. um das Verhältnis zum weiblichen Körper in der Pubertät, um stumpfen Gehorsam in einer überalterten Gesellschaft, sowie um Flucht aus gesellschaftlichen Zwängen und extrem starren Rollenbildern.

Die Überraschungen, die der Roman bereithält, werden vermutlich wenige Leser/innen begeistern, sollten jedoch nicht ausgeplaudert werden.