Rezension

Verbrechen an Kindern

Sommer bei Nacht - Jan Costin Wagner

Sommer bei Nacht
von Jan Costin Wagner

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dem Ende der Serie um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa legt Jan Costin Wagner mit “Sommer bei Nacht“ den Auftakt einer neuen Serie vor. Ben Neven und Christian Sandler von der Wiesbadener Polizei ermitteln im Fall eines vermissten Jungen. Der 5jährige Jannis verschwand bei einem Flohmarkt in seiner Grundschule, als seine Mutter für einen Augenblick abgelenkt war. Die Überwachungskamera eines Parkhauses zeigt den Jungen an der Hand eines Mannes mit einem Teddybär im anderen Arm. Leider sind die Bilder zu unscharf, um den Mann zu identifizieren. Die Ermittler erbitten Hinweise von der Öffentlichkeit und forschen nach ähnlichen Fällen. Tatsächlich spielte ein Plüschtier in einem ähnlich gelagerten Fall in Österreich ein Jahr zuvor eine Rolle. Der Junge wurde nie gefunden. Dann verknüpft der Ermittler Christian Sandler zufällig erhaltene Informationen über Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz mit dem Fall und schafft den Durchbruch.

Die Geschichte wird in weit über hundert kurzen Abschnitten mit ständig wechselnder Perspektive von 14 Beteiligten erzählt. Es kommen u.a. die Polizisten, die Eltern und Schwester des Jungen, die Täter und Zeugen zu Wort. Lange vor dem Ende der Geschichte kennt der Leser die Täter. Es geht einerseits um deren Überführung, andrerseits aber auch um die sehr aktuellen Themen Pädophilie und sexueller Missbrauch. Das Besondere an diesem Roman ist, dass auch der Ermittler Ben pädophile Neigungen hat, ohne allerdings übergriffig zu werden. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Niemand kennt sein Geheimnis. Auch sein Kollege Christian ist eine beschädigte Persönlichkeit. Er hatte als Jugendlicher ein traumatisches Erlebnis, dass zu Wahnvorstellungen, Träumen und Visionen führt, die immer wieder die Realität überlagern. Dann erzählt er zum ersten Mal in seinem Leben einer jungen Obdachlosen seine Geschichte, und alles verändert sich zum Besseren. Am Beispiel der jungen Frau macht Wagner deutlich, welche Verheerungen Missbrauch bei den Opfern anrichtet.

Wagner zeigt in seinem spannenden, auch sprachlich-stilistisch ganz außergewöhnlichen literarischen Krimi, dass die Trennlinie zwischen den Guten und Bösen nicht so eindeutig verläuft. Täter sind nicht automatisch Monster, von denen wir anderen uns zum Glück deutlich unterscheiden. Die Figur des pädophilen Ermittlers ist nicht der einzige Tabubruch im Roman des risikofreudigen Autors. Ich habe das Buch, das mit der üblichen Krimikost nichts gemein hat, förmlich verschlungen und empfehle es uneingeschränkt.