Rezension

Verbrechen und Delikte der Nachkriegszeit

Vergessene Seelen
von Frank Goldammer

Bewertet mit 5 Sternen

Frank Goldammer arbeitet mit „Vergessene Seelen“ die Nachkriegszeit in Dresden gekonnt, gut recherchiert und sehr detailreich auf. Dabei geht er anhand von Einzelschicksalen, die Max Heller bei seinen Ermittlungen begegnen, besonders auf die Verzweiflung der Bewohner Dresdens ein. Diese wird fortwährend von Hunger, Wohnungsmangel und den Nachwehen des Krieges genährt. Die Nachricht, im Westen soll eine neue Währung eingeführt werden, lässt die Hoffnungslosigkeit weiter anschwellen. Auch das Misstrauen gegenüber dem Staatsapparat wächst stetig. So hat es Max Heller alles andere als leicht, seinen aktuellen Fall, der sich um einen toten Jungen auf einer Baustelle rankt, zu lösen. Die vor meinem inneren Auge entstandene Atmosphäre wirkte realistisch und nachvollziehbar.

Ich habe Max Heller jetzt im Rahmen des 3. Bandes erst kennengelernt. Das Lesen der Vorgänger will ich demnächst nachholen. Wahrgenommen habe ich ihn als liebenden Ehemann und Vater, der es stets bereut, nicht ausreichend Zeit für seine Familie zu haben, und Alles tun würde, um Karin und Anni zu beschützen. Als Ermittler ist Heller ein Tuck zu ehrgeizig, nimmt sich unter Berücksichtigung der kriegsbedingten Gegebenheiten eigentlich immer zu viel vor. Dabei begibt er sich mehrfach selbst in Gefahr. Diese Schwächen lassen Heller menschlicher erscheinen. So wird aus ihm ein Charakter mit Ecken und Kanten, für den ich Sympathie entwickelt habe.

Ganz besonders gut hat mir Oldenbusch, der gefühlte Assistent von Heller, gefallen. Obwohl er eigentlich fast die ganze Zeit eher im Hintergrund tätig ist, wäre die Auflösung des Falls ohne ihn nicht möglich gewesen. Wann immer Heller ihn braucht, ist Oldenbusch stets ohne Murren zur Stelle. Manche Gefahrensituation Hellers wäre ohne Oldenbusch auch anders ausgegangen. Als Ruhe in Person bildet er zudem einen ausgleichenden Pol zu Max Heller. Dennoch ist er nicht nur Gefolgsmann. Klug bringt Oldenbusch seine eigenen, zum Teil auch von Heller abweichenden Ansichten zum Ausdruck.

Am besten hat mir Frank Goldammers Auseinandersetzung mit den Kinderschicksalen in der Nachkriegszeit gefallen. Wir machen uns heute gar nicht mehr bewusst, was es bedeutet, ganz besonders für ein Kind, stehlen zu müssen, damit man überhaupt irgendetwas zu essen und zum Anziehen hat. Wir wissen auch nicht, was schlimmer ist: Ohne Eltern aufzuwachsen oder bei Eltern, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeiten können mit der Folge, dass sämtliche angestaute Wut auf dem Rücken der eigenen Kinder entladen wird. Wenig Liebevolles wurde vielen Kindern zu Teil. Sie wurden missbraucht für die kriminellen Machenschaften Anderer, immer in der Hoffnung auf ein Stückchen Brot. Dem stehen Lichtblicke gegenüber, wo Eltern ganz selbstverständlich für ihre Kinder ihr letztes Hemd geben.

Sprachlich wurde sehr gut durch den Roman geführt. Kurze Kapitel, die mit Zeitangaben überschrieben sind, verleiten zum langen Lesen. Ich musste mich regelrecht zu Pausen zwingen. Dabei sind die Geschehnisse so einprägsam, dass ich auch nach einer längeren Leseunterbrechung den Faden sofort wieder aufnehmen konnte. Mein einziger Kritikpunkt ist die Benamung der Utmann-Kinder. Es war für mich nicht ganz so einfach Albert, Alfons und Alfred auseinander zu halten. Dennoch gebe ich gern eine klare Leseempfehlung.