Rezension

"Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." (Friedrich von Schiller)

Die Kinder des Borgo Vecchio - Giosuè Calaciura

Die Kinder des Borgo Vecchio
von Giosuè Calaciura

Bewertet mit 4 Sternen

Das Hafenviertel Borgo Vecchio der sizilianischen Stadt Palermo ist die Heimat der ärmeren Bevölkerung und das Zuhause von Mimmo, Celeste und Cristofaro. Jedes der drei Kinder wünscht sich den Tod seiner Eltern und ein anderes Leben, denn sie müssen so einiges unter ihnen ertragen. Während Celeste miterleben muss, wie ihre eigene Mutter Carmela sich in der heimischen Wohnung als Prostituierte verdingt, wird Cristofaro jeden Abend unter den Augen und Ohren der Nachbarschaft von seinem besoffenen Vater verprügelt, doch helfen tut ihm keiner. Mimmo kommt da noch am besten weg, denn sein Vater betätigt sich nur als Betrüger an seiner Kundschaft, die er bei dem Gewicht des gekauften Fleisches bescheißt. In Borgo Vecchio hat der Kriminelle Totó das Sagen und wird von dem Kleeblatt sehr bewundert. Als dieser Celestes Mutter Carmela heiraten will, kommt Hoffnung auf…

Giosuè Calaciura hat mit „Die Kinder des Borgo Vecchio“ einen atmosphärisch-dichten und bildgewaltigen Roman vorgelegt, der dem Leser schonungslos den Spiegel vorhält ob der Grausamkeit des Lebens sowie der Natur des Menschen. Der Schreibstil ist anspruchsvoll und intensiv, der Leser kann das Buch nicht einfach so weglesen, sondern wird durch detailreiche Beschreibungen sowohl der Örtlichkeiten als auch der menschlichen Beziehungen durch die Handlung laviert und erstaunt mit einem sarkastischen Unterton, der bei den Schilderungen wohl lebensnotwendig ist. Interessant sind die Beobachtungen, die der Autor mit dem Leser in Bezug auf die Bewohner von Borgo Vecchio teilt. Sie alle leben in einer Art Mikrokosmos, wo jeder seine Rolle hat, sie miteinander agieren oder sich auch ignorieren. Doch sie gleichen jeder einem Zahn in einem Getriebe, das nur so zu funktionieren scheint. Wunderbar wird die Freundschaft der Kinder beschrieben, die sich gegenseitig stützen und Kraft geben, die täglichen Schikanen durchzuhalten. Aber auch ihre Hoffnungen haben in dieser Geschichte einen Platz, wenn sie auch weit in der Ferne liegen.

Die Charaktere sind sehr facettenreich angelegt und überzeugen durch ihre Lebendigkeit. Der Leser kann sich gut in die Kinder hineinversetzen, begleitet sie einen Teil ihres Weges und erfährt dabei nicht nur über sie eine ganze Menge, sondern erlebt auch hautnah mit, was sie mit ihren Familien durchmachen müssen. Celeste liest gern, aber was soll sie auch sonst auf dem Balkon machen, während ihre Mutter für den Lebensunterhalt Herrenbesuch empfängt. Mimmo liebt sein Pferd Naná, vertraut ihm das an, was ihn umtreibt. Er ist heimlich in Celeste verliebt. Cristofaro ist am ärmsten dran, denn die ständigen Prügel seines Vaters sind nur schwer zu ertragen. Er wirkt zäher als seine beiden Freunde, wahrscheinlich das Ergebnis dieser körperlichen Züchtigungen. Totó ist ein Ehrfurcht einflößender Mann, dessen Erscheinen nicht nur Schauer über den Rücken laufen lassen, sondern insgeheim auch Bewunderung hervorruft. Aber auch Carmen und die übrigen Protagonisten geben dem sizilianischen Viertel ein Gesicht und der Handlung zusätzliche Impulse.

„Die Kinder des Borgo Vecchio“ lässt den Leser während der Lektüre eine Achterbahn der Gefühle durchleben. Sehr eindrucksvoll und bildreich erzählt, was eine Leseempfehlung mehr als verdient!