Rezension

Verdeutlicht die Schwierigkeiten bei der Meinungsbildung

Die rechtschaffenen Mörder - Ingo Schulze

Die rechtschaffenen Mörder
von Ingo Schulze

Bewertet mit 5 Sternen

Schon ein Blick auf den Umschlag des Romans „Die rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulze ließ mich wissen, dass er über Bücher, viele Bücher handelt. Vor allem dreht sich die Geschichte aber um den Besitzer dieser Bücher, den Dresdner Antiquar Norbert Paulini. Im ersten Satz des Romans liest sich denn „…lebte einst“, was sich für mich ein wenig märchenhaft anhörte, sich schließlich jedoch in das Gesamtbild des Buchs einfügte, denn der Roman besteht aus drei Teilen. Im ersten wird das Leben des Buchhändlers durch einen zunächst unbekannten Ich-Erzähler geschildert.

Erst im zweiten Teil lernte ich den fiktiven Schriftsteller Schultze kennen, der die Geschichte über Paulini zu Papier gebracht hat. Nicht nur sein Name ist dem des Autors ähnlich, es finden sich auch weitere Parallelen zu dessen Leben. Ich erfuhr, welche Gründe ihn bewegt haben, über den Antiquar zu schreiben. Er verarbeitet dabei seine persönlichen Begegnungen, die Fakten aus Gesprächen mit Bekannten und Freunden Paulinis, bindet Gerüchte ein und ergänzt alles durch seine Fantasie. Im letzten Teil des Romans kommt schließlich die Lektorin von Schultze zu Wort, die mir nochmal einen neuen Blickwinkel auf Paulini, Schultze und deren gemeinsame Freundin Lisa sowie das unvollendete Manuskript gab.

Norbert Paulini lebt in Dresden und kommt aus einfachen Verhältnissen. Seine Mutter besaß eine Buchhandlung, verstarb aber wenige Tage nach seiner Geburt im Jahr 1953. Doch ihre unverkauften Bücher hortete der Vater an jeder freien Stelle in der Etagenwohnung einer Villa im Stadtteil Blasewitz, in der die Familie lebt. Dadurch wurde bei Paulini die Liebe zu den Büchern geweckt und seine Berufung. Sein Leben ist eng verknüpft mit der wechselhaften Geschichte Ostdeutschlands. Besonders einschneidend für ihn und sein Geschäft ist die Öffnung der Grenzen und das Oderhochwasser. Er resigniert nicht, akzeptiert die gegebenen Umstände und passt sich an. Doch im Laufe der Jahre ändern sich in kleinen Schritten seine Einstellungen, auch weil er seinen eigenen Erwartungen als Vater gerecht werden möchte. Und eines Tages steht er im Blickfeld von polizeilichen Ermittlungen.

Ingo Schulzes Roman ist angefüllt mit Leidenschaft für Bücher, nicht nur durch seinen Protagonisten, sondern auch über Buchschätze. Hier fällt mancher große Autorenname und Titel, die auf diese Weise Paulini nicht nur seinen Kunden, sondern auch mir als Leser empfiehlt. Paulini ist ein geradliniger Mensch, er hat bestimmte Ansichten von seiner Zukunft, zu dem der Wunsch gehört, vom Lesen zu leben genauso wie seine Erwartung an eine Ehefrau. An Aussagen zur politischen Lage hat er kein Interesse, stattdessen steckt er seine ganze Energie in die Vermittlung von Büchern an seine Kunden. Dabei sollen es vor allem die Klassiker sein, die jeder kennen sollte. Nur widerwillig beachtet er Neuerscheinungen.

Das Adjektiv rechtschaffen, wie es im Titel genutzt wird, trifft auf Paulini in besonderer Weise zu. Im Zeitablauf erfordern jedoch familiäre und gesellschaftliche Ereignisse unangenehme Entscheidungen von ihm, die er meistert. Für mich als Leser war es nachvollziehbar, dass er sich immer mehr als Opfer der Umstände betrachtet und seine Gelassenheit nur noch nach außen sichtbar ist, während es in seinem Innern brodelt, doch das ist nur Spekulation.

Die Veränderung der Erzählperspektive verdeutlicht, dass die Erzählung über eine Person durch Dritte gespickt ist mit vielen Einflüssen und dadurch ein reales Bild nicht möglich ist. Es kann als Außenstehender nur ein Versuch sein, dass Verhalten eines Menschen zu erklären, durch seine Äußerungen und seine Handlungen. Doch unsere Gesellschaft neigt zur Vorverurteilung und Schubladendenken.

Meisterhaft zeigt Ingo Schulze in seinem Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ dem Leser, wie schwierig es ist, sich eine umfassende, ehrliche und faire Meinung zu bilden. Durch unterschiedliche Erzählperspektiven führt er dem Leser vor, wie subjektiv, manchmal borniert der Eindruck von uns in der Öffentlichkeit entsteht. Einige Fragen bleiben offen und warten darauf, vom Denken des Lesers gefüllt zu werden. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.