Rezension

Verdient einen Ehrenplatz im Bücherregal

Stern 111 - Lutz Seiler

Stern 111
von Lutz Seiler

Lutz Seilers Roman "Stern 111" ist ein Wunder: Im strengsten Wortsinne ist das Buch nämlich weder direkt spannend, noch überraschend oder spektakulär. Dennoch erzählt Seiler eine atemberaubend fesselnde Geschichte, die einen nach wenigen Seiten nicht mehr loslässt - und hat dazu weder Feuerwerk noch Budenzauber nötig.

Ich muss gestehen, dass ich jemand bin, der nörgelig wird, wenn Bücher unnötig lang sind. [Das gilt besonders für Sachbücher, die so gut wie nie ohne Redundanzen auskommen!] Tatsächlich habe ich schon belletristische Werke gelesen, bei denen ich gut und gerne auf 150 der 350 Seiten verzichtet hätte.
Lutz Seiler haben für sein neues Buch, für das er übrigens den Buchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, 350 Seiten nicht gereicht. Er brauchte 522, um darauf 16 Monate des Lebens eines Losers zu erzählen: Carl Bischoff ist Mitte 20, spektakulär naiv, unselbständig und ohne den Hauch eines Plans, was er mit seinem Leben in der DDR anfangen soll. Da fällt die Mauer und der verkappte Maurer, erfolglose Student, Möchtegerndichter und gescheiterte Sohn erhält ein Telegramm. Seine Eltern bitten ihn, nach Hause nach Gera zu kommen. Sie wollen fliehen, sofort, weil sie fürchten, die Grenze zum Westen könne sich wieder schließen. Sohn Carl soll zurückbleiben, als „Nachhut“.
 
Der Verlassene bleibt nur ein paar Tage, dann flieht auch er aus Gera: geradewegs nach Berlin, ironischerweise in den Ostteil der Stadt. Dort gerät er in die Hausbesetzerszene und stolpert von einem schrägen Abenteuer ins Nächste. Bald erreichen ihn (per Nachsendeantrag) Briefe seiner Mutter und wir erfahren mehr aus dem zweiten Abenteuerstrang des Buches: Die Erfahrungen der Eltern in der Wildnis der Wessis.

Klingt unspektakulär, nicht wahr? Aber ich kann eines versichern: Auf keine der 522 Seilerschen Seiten wollte ich verzichten. Sein Buch ist ein Wunder, weil es weder spannend, noch überraschend oder spektakulär ist. Seiler braucht weder Feuerwerk noch Budenzauber, um eine atemberaubend fesselnde Geschichte zu erzählen. die einen nach wenigen Seiten nicht mehr loslässt.

Und einen Ehrenplatz in jeder Bibliothek verdient, und zwar im Regal bei den Lieblingsbüchern!

PS: Ossis wissen vermutlich Bescheid, aber alle Wessis seien vor zu viel Astronomie gewarnt: Der Buchtitel „Stern 111“ leitet sich von der Typenbezeichnung eines Kofferradios des Kombinats VEB Stern-Radio Berlin ab, das Carl Bischoff durch seine Kindheit begleitet hat. Alles Weitere ist Interpretationssache, warten Sie damit, bis Sie mit dem Buch durch sind!