Rezension

Vergebung für einen Kriegsverbrecher?

Bis ans Ende der Geschichte
von Jodi Picoult

Bewertet mit 5 Sternen

Die 25-jährige Sage Singer führt ein sehr zurückgezogenes Leben. Ihr Beruf als Bäckerin in der Bäckerei Our Daily Bread von Mary DeAngelis, einer ehemaligen Nonne, kommt diesem Lebensstil nur zu Gute. Soziale Kontakte hat sie kaum, auch kaum noch welche zu ihrer Familie, aber seit drei Jahren besucht sie regelmäßig die Trauergruppe  Helping Hands, denn vor drei Jahren hatte Sage einen Autounfall, den sie selbst aus Unachtsamkeit verschuldet hat. Sie wurde verletzt und ist seitdem "gezeichnet", ihre Mutter starb an ihren Verletzungen später im Krankenhaus. Ihr Vater starb an einem Herzanfall, als sie neunzehn war und mit dem Tod der Mutter zerbrach die Familie endgültig. Sage ist der Meinung, dass ihre beiden Schwestern ihr den Tod ihrer Mutter vorhalten, wie sie es selbst tut, sodass sie jedweden Kontakt zu ihnen abgebrochen hat. Die Helping Hands sind für Sage auch nicht wirklich eine Selbsthilfegruppe - sie betrachtet sie als Strafe, als Strafe für das, was sie getan hat.

 

Als wäre diese Selbstgeißelung nicht schon genug, hat sie auch noch eine Affäre mit Adam begonnen, dem Bestatter ihrer Mutter, der zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Sicherlich wünscht sie sich, dass sie einen Mann hätte, der voll und ganz zu ihr steht und sie, trotz ihrer Narben, annimmt, wie sie ist, doch hat sie das wirklich verdient, nach allem, was sie getan hat? In der Trauergruppe lernt Sage den 95-jährigen Josef Weber kennen. Dieser ist ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, der lange Jahre, auch nach seiner Pensionierung als Deutschlehrer, noch ehrenamtlich tätig war. Josef sucht nach dem Tod seiner Frau die Trauergruppe auf, doch eigentlich sucht er Absolution. Denn im Gegensatz zu dem was Sage glaubt, hat Josef mit Absicht ihre Bekanntschaft gemacht.

 

Schon nach kurzer Bekanntschaft offenbart sich Josef. Er will, dass Sage, Tochter jüdischer Eltern (jedoch hat sie ihre Bat-Mizwa abgelehnt), ihm beim Sterben hilft, denn Josef Weber ist nicht wirklich Josef Weber, sondern lebt seit dem Ende des 2. Weltkrieges unter falschen Namen. Sage lehnt dies rundweg ab, doch dann zeigt Josef etwas, was Sages Meinung ändern könnte - ein Foto von ihm, in jungen Jahren, in einer SS-Uniform. Josef erzählt ihr offen, dass er Mitglied bei den SS-Totenkopfverbänden war. Sage ist entsetzt, gerade in Hinblick auf Josefs Wunsch, ihm beim Sterben zu helfen, aber sie willigt ein, über seinen Wunsch nachzudenken, wenn er ihr alles, aber auch wirklich alles erzählt, denn nur wenn sie alles weiß, besteht auch nur im Ansatz die Möglichkeit, ihm Absolution, wenn überhaupt, zu erteilen. Sage, die entsetzt ist, über das, was sie erfährt, wendet sich hinter Josefs Rücken an die HRSP und deren Ermittler Leo Stein, um vielleicht doch noch Gerechtigkeit walten zu lassen - allerdings nicht so, wie Josef sich das vorstellt, sondern Sage will den Kriegsverbrecher vor Gericht sehen. Aber dafür muss sie sich seine Geschichte anhören ...

 

 

Vergebung für einen Kriegsverbrecher? Der Plot wurde sehr spannend, emotional und abwechslungsreich erarbeitet. Besonders faszinierend empfand ich die Grundidee, dass ein Mensch, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt hat, Absolution von einem Nachfahren seiner Opfer haben möchte, um in Frieden sterben zu können, doch ehrlich, hat ein solcher Mensch eine Absolution seiner Verbrechen verdient? Ferner weist der Plot die Besonderheit auf, dass dieser nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern gleich drei, welche jedoch direkt miteinander verknüpft sind. Die Figuren wurden facettenreich und authentisch erarbeitet. Anfangs empfand ich die Figur der Sage etwas befremdlich, doch tatsächlich hat sie innerhalb des Buches eine erstaunliche Wandlung durchgemacht, die sie hat reifen lassen und zu der Person gemacht hat, die sie schon immer sein sollte. Jedoch, ich muss es gestehen, empfand ich auch die Figur des Josef ausgesprochen faszinierend, denn was treibt einen Menschen, der abscheuliche Verbrechen verübt hat an, zum Ende seines Lebens noch Verzeihung erfahren zu wollen? Den Schreibstil empfand ich als sehr einfühlsam und auch spannend erarbeitet, sodass ich mich kaum von dem Buch lösen konnte.