Rezension

vergessenes Kleinod

Mann und Frau den Mond betrachtend - Cécile Wajsbrot

Mann und Frau den Mond betrachtend
von Cécile Wajsbrot

Bewertet mit 5 Sternen

Mann und Frau den Mond betrachtend - französischer Originaltitel Caspar-Friedrich-Strasse (!) - stand schon so lange im Regal, dass ich nicht mehr weiß, warum es mir aufgefallen war und ich es gekauft hatte. Erwartet hatte ich schwer lesbare Kost, gefunden habe ich ein Kleinod.

Cécile Wajsbrot unterteilt ihren Text in neun Kapitel, die jeweils ein Bild von Caspar David Friedrich als Leitmotiv haben. Diese Bilder hat man dann auch, mit nur wenigen Andeutungen zum Bildmotiv, schnell wieder vor Augen. Meine Erwartung war nun, dass jedes Kapitel in sich abgeschlossen ist - dem ist aber nicht so, sondern es handelt sich um eine durchgehende Geschichte.

Die Situation, in die man als Leser hingeworfen wird, ist die Eröffnung einer neu gebauten Strasse in Berlin (?), und der Ich-Erzähler, ein Lyriker, dessen Name nicht genannt wird, wurde als Redner für diese Eröffnung eingeladen. Und diese Rede hat dann Überlänge, da der Redner Gedanken zu Caspar David Friedrichs Bildern mit seinem persönlichen Leben in Ost-Berlin sowie Gedanken zur deutschen Geschichte (drittes Reich, deutsch-deutsche Teilung) verknüpft.

Mir hat der Text sehr gut gefallen, ich habe mich aber auch gefragt, wie eine Französin dazu kommt, über die deutsch-deutsche Teilung zu schreiben. Das Rätsel war dann schnell gelöst - sie lebt zweitweise in Berlin und hat durch ihren familiären Hintergrund die Shoa häufig als Thema.

Zu "Mann und Frau den Mond betrachtend" sagt Cécile Wajsbrot in einem Interview: "Mich hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit tief berührt, die man in Berlin auf Schritt und Tritt spürt. Denn es gibt keinen Raum für die Gegenwart und Zukunft, wenn man sich nicht zuvor mit der Vergangenheit auseinandergesetzt hat."

Klare Leseempfehlung.