Rezension

Verloren zwischen Sand und Wellen

Alles okay - Nina LaCour

Alles okay
von Nina LaCour

Bewertet mit 4 Sternen

Du gehst durch das Leben und denkst, du bräuchtest so viele Dinge. Deine Lieblingsjeans und deinen Lieblingspullover. Deine Patchworkdecke mit den weißen und schwarzen Rauten. Deine Glitzerohrringe, den Traumfänger über dem Bett. Du denkst, dass du all diese Dinge brauchst. Und dann gehst du weg – mit deinem Handy, deinem Portemonnaie und einem Foto deiner Mutter.

Nina LaCour ist da ein großartiger Roman gelungen. Einfühlsam und gleichzeitig schnörkellos schreibt sie über den Verlust im Leben der jungen Marin. Kurz vor ihrem Beginn am College in der Nähe von New York implodiert plötzlich ihr gesamtes Leben und sie weiß sich nicht anders zu helfen, als die Heimat in Kalifornien Halsüberkopf zu verlassen und alle Brücken zu ihrem alten Leben abzubrechen. Doch ihre Freundin Mabel lässt sich nicht so einfach abschütteln und steht kurz vor Weihnachten bei Marin vor der Tür. Im Gepäck ein herzliches Angebot und einen Sack voller Fragen.

Der Besuch von Mabel bei Marin im verwaisten Wohnheim während der Weihnachtsferien ist Nina LaCours Rahmen, um Marins Geschichte behutsam zu entblättern. Als Leser sitzt man ähnlich wie Mabel wie auf heißen Kohlen und blitzt doch immer an der entscheidenden Stelle bei Marin ab. Plötzlich zieht sie sich wieder ganz nach innen in sich zurück, als ob ihr der Schmerz keinen Raum für Erklärung und Erinnerung lässt. Dabei war im Sommer noch alles in Ordnung. Die Freundschaft der beiden Mädchen hat sich plötzlich in eine ganz enge, intime Beziehung entwickelt. Sie haben die Schule beendet, sich auf's College vorbereitet, Zeit mit Freunden verbracht und ganz viel Zeit zusammen in Zweisamkeit. Doch ein Teil von Marin ist Trauer und Einsamkeit. Ihre Mutter starb bei einem Surfunfall, Marin ist zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt. Sie wächst bei ihrem Großvater auf, der nie über seine verstorbene Tochter spricht und seiner Enkelin viel Freiraum lässt. Marin genießt diesen Freiraum, respektiert den privaten Raum, den der Großvater für sich braucht. Doch sie vermisst auch das Familienleben, so wie sie es bei ihrer Freundin Mabel zuhause erlebt. Marin verbringt viele Stunden allein am Strand, beobachtet die Surfer und denkt an ihre Mutter, von der sie so wenig weiß.

Es beeindruckt mich, wie einfühlsam, leicht und gleichzeitig bedrückend Nina LaCour Marins Gefühl von Verloren-sein in ihrem Buch transportiert. Das vermeintlich unbeschwerte Mädchen erleben wir nur aus der Rückschau, als Erinnerung von Marin an die Zeit, bevor ihr Großvater verschwand und ihr Leben ins Chaos stürzte. Feststeckend in ihrem Trauma erkennt sie nach und nach wie sehr die Mutter ihr fehlte, wie sie sich nach Geborgenheit und Trost sehnte, nach Geschichten über ihre Mutter, nach der gemeinsamen Zeit.

Marin hat das Vertrauen in andere Menschen verloren und Mabel versucht zu ihr durchzudringen, ihr zu zeigen, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich um sie sorgen und ihr bedingungslos Liebe schenken wollen. Nina LaCour zeigt auf, wie schwer es manchmal sein kann, diese Liebe anzunehmen. Und sie zeigt, wie sich Verlust anfühlt, im Inneren schwelt, während man nach außen ein Leben wie die anderen führt. Den Verlust, die Trauer und die Einsamkeit verdrängt, weil man nicht weiß, wie man damit fertig werden soll, wie man damit umgehen kann. Gleichzeitig schenkt uns die Autorin einen Hoffnungsschimmer. Manchmal trifft man auf Menschen in seinem Leben, die sich nicht von dir abhalten lassen, dich zu lieben und die für dich da sein wollen. Es ist ein berührendes Buch, das ganz ohne Knalleffekte auskommt und sich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentriert.