Rezension

Verschüttete Erinnerungen

Blick in die Angst -

Blick in die Angst
von Chevy Stevens

Bewertet mit 4 Sternen

 "Blick in die Angst" von Chevy Stevens ist ein Thriller, in dem es buchstäblich um psychologische Spannung geht. Denn Nadine, die Protagonistin, arbeitet als Psychiaterin in einem Krankenhaus auf Vancouver Island an der kanadischen Westküste. Doch das Leben im eigentlich idyllischen Victoria hat Schattenseiten für die Mittfünfzigerin, die seit mehreren Jahren verwitwet ist: Ihr Tochter Lisa ist ihr zunehmend entglitten, lebt als Drogenabhängige auf der Straße. Als Therapeutin findet Nadine zwar den Zugang zu ihren Patientinnen und Patienten, aber offenbar nicht zur eigenen Tochter.

Ein Fall in der Notaufnahme nach einem Selbstmordversuch wird für Nadine unerwartet persönlich: Ihre Patientin Heather, die mit den Folgen einer Fehlgeburt nicht fertig wird, gibt sich selbst die Schuld an dem Unglück: Vielleicht hätte sie das "Zentrum" nicht verlassen dürfen. Als sie Einzelheiten nennt über eine Art Yoga-Retreat, wird Nadine hellhörig: Zum einen erinnern sie die Zuständen eher an eine Sekte mit psychologischer Gehirnwäsche. 

Zum zweiten weckt der Name des Leiters Erinnerungen an acht Monate, die sie als 13-jährige mit ihrem älteren Bruder und ihrer labilen Mutter in einer Kommune verbrachte. Seit jener Zeit leidet Nadine unter Klaustrophobie. Auch eine Hypnosetherapie hat in der Vergangenheit nicht geholfen, die Ursache ihrer Ängste zu ergründen. Die Gespräche mit Heather wecken allerdings nach und nach verschüttete Erinnerungen. Nadine ist sich nicht sicher, ob sie authentisch oder eine "Übertragung" sind, doch zunehmend ist sie überzeugt - damals ist etwas Schlimmes passiert.

Als die Erinnerungen klarer werden und Nadine sie nicht auf sich beruhen lassen will, weckt das gewissermaßen die Geister der Vergangenheit. Und während Nadine die Konfrontation mit den Dämonen der Gefangenheit aufnimmt, gerät nicht nur sie in Gefahr.

Stevens schafft Spannung, obwohl über weite Strecken des Buches keine Gewalt im Spiel ist, arbeitet mit viel Suspense. Nadine ist sowohl empathisch als auch emotional, macht trotz ihrer Erfahrungen als Therapeutin im Umgang gerade mit denjenigen, die ihr am Herzen liegen, immer wieder Fehler. Auch das komplizierte Mutter-Tochter-Verhältnis sorgt für eine zusätzliche Dynamik in diesem Kriminalroman, den ich in einem Rutsch weggelesen habe.