Rezension

Verständnis für den Mörder

Still Chronik eines Mörders - Thomas Raab

Still Chronik eines Mörders
von Thomas Raab

Karl Heidemann verlässt diese Welt so wie er sie betreten hat: unerwartet und wie „ein Geschenk“.
Seine Geburt – unerwartet von der Jettenbrunner Dorfgemeinschaft und wie ein Geschenk für seine Eltern, das sehr eigentümliche Paar Johann und Charlotte Heidemann, die von jeher Außenseiter im Dorf sind.
Sein Tod – in dieser Art unerwartet für die Leser, aber doch schlüssig und für ihn selbst wieder wie ein Geschenk.
Dazwischen ein Buch, das einen nicht mehr loslässt, eine Geschichte voller Wärme und eine Sprache voller Poesie.
Karl Heidemann ist ein Kind, das von Geburt an schreit, schreit, schreit. Nichts gelingt seiner Mutter, ihn zu beruhigen. Erst wenn zum Feierabend der Vater auftaucht und den Säugling auf lange Spaziergänge in die Stille des Waldes mitnimmt, kommt das Kind ein wenig zur Ruhe, die aber bei der Rückkehr ins Haus auch schon wieder vorbei ist.
Nur durch Zufall entdecken die Eltern, dass ihr Sohn ein hochgradig sensibles Gehör  hat und sich deshalb alle Geräusche in seiner Umwelt als eine einzige Qual für ihn auswirken. Sein eigener Herzschlag und das von der Mutter vorgesungene immer  gleiche Kinderlied, die ganz normalen Alltagsgeräusche, die wir kaum wahrnehmen, die Stimmen anderer Menschen und Tiere in seiner Umgebung sind für das Kind Karl eine einzige Qual, der er zu entgehen versucht.

Karl ist gerade mal neun Jahre alt, als er den Selbstmord seiner Mutter erlebt. Aber – ganz anders als für die Menschen in seinem Umfeld erlebt er diesen Tod nicht als eine Tragödie, sondern als etwas sehr Schönes. Frieden, Liebe und vor allem Ruhe, das sieht er fortan im Tod und obwohl er noch ein Kind ist, macht er sich ab diesem Augenblick Gedanken darüber, wie er anderen Menschen diesen Frieden, diese Liebe und diese Ruhe schenken kann. Dabei empfindet man als Leser seine Überlegungen zum Tod als Geschenk für die Menschen völlig nachvollziehbar und in sich schlüssig. Wir wissen, dass er sich des Mordes schuldig macht, in vielen Fällen und doch mögen wir ihn nicht verurteilen.

Im weiteren Verlauf des Romans verlässt Karl Heidemann sein Heimatdorf, lebt als Kind und später als Heranwachsender und noch später als Erwachsener in der freien Natur, schafft sich seine eigenen Refugien und meidet – meistens – die anderen Menschen. Sein Weg aber wird immer wieder von Toten gesäumt, denen er „sein Geschenk“ gemacht hat. Sein Gegenspieler im Buch wird der Kommissar Horst Schubert, der die Spur Karls immer mal wieder aufnimmt und auch wieder verliert. Viele Jahre wird er immer wieder wissen: „Er ist wieder da!“ Aber wird er ihn jemals finden? Oder findet Karl am Ende ihn?
Trotz vieler Opfer und auch trotz des Ermittlers Horst Schubert ist das Buch für mich kein Krimi und auch während der Lektüre zu keinem Zeitpunkt ein solcher geworden. Es ist ein Buch über einen Menschen, dem man eigentlich nur eines wünscht: Ruhe und Frieden.
In seiner Intensität und der besonderen Sichtweise auf die Dinge hat mich dieser Roman sehr an die Bücherdiebin erinnert und ich bin dankbar, dass ich auch dieses besondere Buch kennenlernen durfte.