Rezension

Verstörend

Das Volk der Bäume - Hanya Yanagihara

Das Volk der Bäume
von Hanya Yanagihara

Bewertet mit 3 Sternen

Ehrlich gesagt fällt mir die Beurteilung von „Das Volk der Bäume“ sehr schwer. Der Klappentext kündigt ja eigentlich bereits an, dass die Reise und das Leben von Dr. Norton Perina den Leser mit Abgründen und wirklich Furchtbarem konfrontieren wird. Und was der Klappentext verspricht, das hält dieses Buch auch.

Ich habe „Das Volk der Bäume“ als Hörbuch gehört, das in 1075 Minuten eine gut geschriebene, aber schreckliche Geschichte vertont.

Hanya Yanagihara setzt in ihrer Erzählung zunächst mit einem Vorwort von Dr. Ronald Kubodera an, der Nortons einzig verbliebener Freund zu sein scheint, nachdem er zunächst mit den Missbrauchsvorwürfen und schließlich mit einer Verurteilung wegen der ihm vorgeworfenen Verbrechen konfrontiert wird. Der zuvor in der Wissenschaftswelt für seine Entdeckung des Selene-Syndroms gefeierte Arzt entpuppt sich als Monster. Das stellt die Autorin von vorneherein klar.

Grundsätzlich frage ich mich, wie sie auf die Idee gekommen ist, sich ausgerechnet einen solchen Protagonisten wie Norton für ihre Geschichte auszusuchen. In einem weiten Bogen erfährt man als Leser und Hörer zuerst viele Details über Nortons Kindheit (die Beziehung zu seinem Bruder Owen, die Beziehung zu seinem Vater und das verstörende Verhalten, dass er seiner eigenen Mutter gegenüber an den Tag legt, bevor diese, als Norton noch relativ jung ist, stirbt).

Norton Perina ist von Anfang an ein Protagonist, dem gegenüber ich eine tiefe Abneigung verspürte. Hochmütig, zum Teil grausam gegenüber anderen, mit einer tiefen Abneigung gegen fast alles und jeden, wird er durch Zufall begleitender Mediziner bei einer Expedition eines Anthropologen. Auf der abgelegenen mikronesischen Insel Ivu’ivu macht er schließlich eine Entdeckung, die ihm später den Nobelpreis einbringen wird. Dass seine Entdeckung und die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse schließlich den Anstoß für die Zerstörung dieser alten, bis dahin von der modernen Welt unberührten Gesellschaft, gibt, macht ihm dabei mehr zu schaffen, als das Leid, dass er über die von ihm adoptierten Kinder gebracht hat. Die Gedankengänge, die Norton zum Teil in seinen Briefen an Ronald Kubodera geschrieben hat, der Nortons Biografie aus diesen Teilfragmenten zusammensetzt, sind teilweise sehr schwer zu ertragen.

Hanya Yanagihara wirft mit diesem Roman verschiedene Fragen auf, angefangen dabei, ob die Forschung die Zerstörung einer alten Gesellschaftsform rechtfertigt, ob die Ausrottung einer Tierart gerechtfertigt ist im Namen der Forschung. Die Frage, ob wissenschaftliche Verdienste gegen Verbrechen aufgewogen werden können – diese Frage kann ich für mich absolut nur mit „Nein.“ Beantworten.

Die Sprecher des Hörbuchs machen allesamt einen guten Job, lesen den Text deutlich und in einem angenehmen Tempo. Allerdings macht auch das die Geschichte und die Ereignisse nicht weniger grauenvoll und erschreckend.

Von mir erhält „Das Volk der Bäume“ daher drei Sterne. Die Autorin kann Schreiben, allerdings ist das Thema, mit dem sie sich in diesem Roman auseinandersetzt, ein sehr grausiges.