Rezension

Verstörender Cyberpunk-Klassiker

Dr. Adder - K. W. Jeter

Dr. Adder
von K. W. Jeter

Bewertet mit 4.5 Sternen

Jeter war seinerzeit (und ist es wohl noch) sehr von Philip K. Dick angetan, betrachtete ihn als Vorbild und orientierte sich in seinen Werken demenstprechend spürbar an den großen SF-Autor. So auch bei "Doctor Adder", das stark an die Welt bei Dicks Kurzgeschichte erinnert, die später als "Blade Runner" verfilmt und zum Kult wurde. Wie bei "Blade Runner" haben wir auch hier eine degenerierte, gespaltene Gesellschaft, die von kriminellen Strukturen und individuumfeindlichen Aspekten dominiert wird. Ein zutiefst pessimistischer Roman, der die scheinheilige Realität unserer Zivilisation in seinen krankhaftesten Zügen darstellt. Alles in allem ist "Doctor Adder" ein Grundstein des Cyberpunk, das in einem Atemzug mit Daniel Galouyes "Simulacron-3" und William Gibsons "Neuromancer" genannt werden darf.

Jeter führt uns mit "Doctor Adder" vor Augen, wie leicht der Mensch seine Menschlichkeit verliert, wenn in seinem Umfeld diese Menschlichkeit überhaupt keinen Wert mehr besitzt. Geld, Macht und die Befriedigung der eigenen Triebe sind das höchste Gut. Dr. Adder, Protagonist und Antagonist zugleich in diesem Buch, ist ein Arzt, der mit Hilfe neuentwickelter Drogen und chirurgischer Eingriffe diverse körperliche Modifikationen anbietet. Und zwar in erster Linie Prostituierten, die sich von ihm auf unerdenkliche Weise "anpassen" lassen, um den perversen Wünschen ihrer Kunden gerecht zu werden. Was Jeter hier ausführt kratzt an die Grenzen der Vorstellungskraft, so dass man angewidert und fasziniert zugleich ist. Adder gegenüber steht ein fanatischer Fernsehprediger, der dieser um sich greifenden Perversion ein Ende bereiten möchte. Und zwar mit allen Mitteln, was in Jeters düsterer Welt bedeutet, dass auch bei Adders Gegenspieler keine Menschlichkeit zu erwarten ist, sondern lediglich skrupelloser Egoismus. Zwischen den Fronten, inmitten dieser kaputten Gesellschaft, gerät eines Tages der junge Zuhälter Limmit, der naiv alles akzeptiert und mitmacht, was nötig ist, um in der Großstadt voranzukommen. Bis er anfängt hinter die Fassaden zu blicken und sich bei ihm so etwas wie ein Gewissen regt. So hofft man zumindest...

"Doctor Adder" ist unterm Strich wirklich nichts für schwache Gemüter. Die Geschichte ist grausam, unendlich pessimistisch und immer wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen, packt Jeter eine weitere Abscheulichkeit oben drauf. Es fällt mir schwer dieses Buch als "gut" zu bezeichnen. Dafür unterhält es nicht wirklich. Wie könnte es auch, wenn Ekel, Trauer, Wut, aber auch eine Art angsteinflößende Lust die Gefühle sind, die hauptsächlich angesprochen werden? "Doctor Adder" ist kein Buch zum genießen. Doch es hallt lange nach und man kommt zu dem Schluss, dass es wohl gar nicht unterhalten will oder soll. Es soll schockieren. Und das tut es auch. Denn so verrückt und phantastisch die hier dargestellte Zukunft auch sein mag, genauso realistisch erscheint sie auch.

Ein Klassiker und Meilenstein des Cyberpunk-Genres, den Fans unbedingt mal gelesen haben sollten.