Rezension

Verwirrend und faszinierend

Deine kalten Hände - Han Kang

Deine kalten Hände
von Han Kang

Bewertet mit 4.5 Sternen

Was für eine Geschichte! Ich bin zwar einerseits relativ verwirrt, andererseits aber total fasziniert von dem, was ich da gerade gelesen habe.

Der Künstler Jang Unhyong verschwindet spurlos, nur eine Art Biografie bleibt von ihm zurück, in der er seine Kindheit und besonders prägende Teile seines Erwachsenenlebens wiedergibt. Unhyong hat einen speziellen und zumeist ziemlich scharfen Blick auf seine Umgebung, mit dem viele Menschen nicht zurechtkommen. Er legt aber ohnehin nicht viel Wert auf zwischenmenschliche Interaktionen und beschäftigt sich lieber mit seinen Gipsskulpturen für die er Abdrücke von verschiedenen Frauen nimmt. Besonders Hände faszinieren ihn, für klassische Schönheit hat er hingegen keinen Sinn.

Mich hat besonders die Stimmung gepackt, die Han Kang hier erschafft: Es wirkt teilweise seltsam bedrohlich, definitiv rätselhaft, aber ohne, dass ich genau sagen könnt, woher diese Stimmung rührt. Von daher hat es mich etwas an den „Vogelgott“ erinnert. Zwar ohne dessen Mystik, aber wer die Atmosphäre dort mochte, könnte hieran auch Gefallen finden.

Über das Selbstbild der Frauen im Roman könnte man bestimmt ein eigenes Buch schreiben. Definitiv steckt einiges an Kritik am krassen Schönheitsideal der asiatischen Länder darin! Perfekt sein, um jeden Preis, wer aus der Norm fällt verliert an Wert. Um diese Botschaft umzusetzen, greift Han Kang zu – sagen wir – recht ungewöhnlichen Mitteln.

Verwirrend, verstörend, spannend und vor allem gut erzählt, so habe ich meinen ersten Roman der koreanischen Autorin empfunden. Eine ruhige Geschichte, von der man sich nicht allzu viel Klarheit aber dafür umso interessantere Figuren erhoffen darf. Einzig zu kritisieren habe ich, dass der letztes Teil der Romans für mich etwas schwächer war, als die beiden vorausgegangenen. Das hat die Spannungskurve etwas heruntergezogen, fällt aber insgesamt nicht allzu sehr ins Gewicht.

Bei Han Kang hängen wir zwar ein bisschen hinterher – so ist „Deine kalten Hände“ im Original bereits 2002 erschienen, „Die Vegetarierin“ immerhin 2007 – aber ich bin froh, dass es ihre seltsam anmutenden Geschichten trotzdem noch zu uns geschafft haben. Ich bin auf jeden Fall so angefixt, dass ich direkt mit der „Vegetarierin“ weiter mache, die sowieso schon viel zu lange ungelesen in meinem Regal liegt!