Rezension

Very British

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar -

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar
von Robert Thorogood

Bewertet mit 4 Sternen

Judith Potts ist eine 77-jährige, schrullig-sympathische, exzentrische Seniorin mit einem messerscharfen Verstand, die für ihr Leben gerne puzzelt, beruflich Kreuzworträtsel für Zeitungen anfertigt, immer ein Döschen Fruchtbonbons in der Tasche parat hat und sich jeden Abend - gerne nach einem Nacktbad in der Themse - ein Schlückchen Whisky gönnt. In Marlow ist die Witwe mit ihrer unverblümten, schnörkellos-frechen Art bekannt wie ein bunter Hund, wohnt sie doch in dem wunderschönen alten Herrenhaus, dessen beeindruckende Fassade zum Glück nicht darauf schließen lässt, wie unaufgeräumt und verstaubt es drinnen aussieht. Judith kümmert sich nicht groß um Ordnung, gemütlich muss es sein. In vielen von Judiths Eigenarten habe ich mich wiedererkannt, sei es ihr Schimpfen über Tauben oder ihre Wertschätzung von Kindern, ihr Optimismus, ihr Gerechtigkeitssinn oder ihre Neugier. Sie ist sehr facettenreich ausgearbeitet worden und hat die klassischen Ecken und Kanten, die man sich von Romanfiguren immer wünscht, damit sie glaubwürdig erscheinen. Selbiges gilt für ihre neuen Bekanntschaften, die Hundesitterin Suzie, die nie ein Blatt vor den Mund nimmt, und die ordnungsliebende, perfektionistische Pfarrersfrau und Anwärterin auf den Titel 'Hausfrau des Jahres': Becks Starling – "also eigentlich Becky Starling, also eigentlich Rebecca". Dass diese drei so gänzlich unterschiedlichen Damen plötzlich zueinander gefunden und sich angefreundet haben, liegt daran, dass Judiths beschauliches Leben und die von ihr geschätzte Ruhe empfindlich gestört worden sind, denn "Stefan Dunwoody, ihr Freund und Nachbar, war erschossen worden" – und die Polizei tritt auf der Stelle. Detective Sergeant Tanika Malik, die neben Becks aufgrund ihrer unterschwelligen Liebenswürdigkeit und nahbaren Art zu meinen Lieblingsfiguren des Werks zählt, staunt nicht schlecht über die eigenmächtigen Ermittlungen des sonderbaren Trios. Und als es zu einem zweiten Mord kommt, wird es immer gefährlicher im malerischen Marlow.

Die Gesamtkonstellation der Figuren gefiel mir hervorragend, obwohl ich mich nicht für alle weiblichen Hauptfiguren 100%ig erwärmen konnte. Sowohl Judiths als auch Suzies zum Teil dreistes Verhalten und ihre oftmals (grundlos) trotzige Wortwahl empfand ich als einen Tick zu respektlos. Mag sein, dass man sich im Alter sagt, man müsse auf gewisse gesellschaftliche Gepflogenheiten keine Rücksicht mehr nehmen, doch ein wenig mehr Taktgefühl hätte ich schön gefunden. Von den Hintergründen der Mordfälle war ich sehr überrascht, auf diese clevere Lösung wäre ich nie gekommen. Der Weg dorthin hatte vor allem im letzten Drittel ein paar Längen, die der Geschichte leider etwas an Spannung und Tempo geraubt haben.

Das wundervolle Setting war eines der Highlights für mich, ich würde sofort nach Marlow ziehen! Die Beschreibungen dieses reizenden Städtchens haben es mir total angetan. "An einem Ende der High Street befanden sich eine elegante georgianische Hängebrücke und eine alte Kirche am Flussufer, am anderen stand ein prunkvoller Obelisk, und dazwischen säumten historische Gebäude aus mehreren Jahrhunderten die Straße. Über der High Street waren auf ganzer Länge rot-blaue Wimpel angebracht, die alles zu einem ästhetischen Ganzen, zu einer kleinstadttypischen Postkartenidylle zusammenfügten".

Fazit: Herrlich charmantes Setting, größtenteils sympathische Figuren und ein interessanter Plot, wenn auch mit kleinen Längen. Ich freue mich auf den 2. Band der Reihe und spreche eine Leseempfehlung für alle Fans von Cosy-Crime-Storys aus.