Rezension

Verzaubernd, meditativ, rund - absolutes Lesehighlight

Singe ich, tanzen die Berge -

Singe ich, tanzen die Berge
von Irene Solà

Bewertet mit 5 Sternen

Was für ein Glücksquelle, dieses Buch! Wenn ihr euch nicht wohlfühlt, wenn die Realität gerade nicht nach euren Wünschen ist, wenn ihr mitten in einer Leseflaute steckt... probiert es mit diesem Buch und die Chancen stehen gut, dass es auch für euch ein absoluter Glücksgriff wird. Es ist bereits ein paar Wochen her, dass ich es zugeklappt habe, aber ungelogen, ich hatte seitdem regelmäßig Sehnsucht danach.

Irene Solà (ein Name, den sich zu merken lohnt) hat mit ihrer mehr als originellen Erzählweise etwas gewagt und es ist ganz wunderbar, dass ihr Mut mit dem Europäischen Literaturpreis belohnt wurde - was sicher auch dazu beigetragen hat, dass wir dieses katalanische Kunstwerk nun auch auf Deutsch lesen können. In "Singe ich, tanzen die Berge" übergibt sie die Stimme nicht nur an ihre Protagonisten, sondern ebenso an die Wolken, die Pilze, einen Hund, Geister, ... Sie alle erzählen uns abwechselnd eine Geschichte, die damit beginnt, dass der dichtende Bauer Domènec in den spanischen Pyrenäen von einem Blitz erschlagen wird und seine Frau Sió und die Kinder alleine zurücklässt.

Ich habe so gehofft, dass die verschiedenen Perspektiven für mich funktionieren und ja, das tun sie absolut. Schon die Stimme der Wolken war für mich ein grandioser Auftakt und ich fand es jedes Mal fast ein wenig schade, wenn in einem Kapitel wieder gewöhnliche Menschen die Erzählung übernahmen. Ich bin üblicherweise kein großer Fan von ausschweifenden Naturbeschreibungen und was andere poetisch finden, fällt bei mir gerne mal in die Kategorie Kitsch. Aber das hier - der Wind, der Sturm, das Moos, die Nässe, der Wald - hat mich umgehauen. Die Übersetzerin, Petra Zickmann, hat bei der Übersetzung mit Sicherheit Großes geleistet, und dennoch ist dies ein Buch, das ich liebend gern im Original gelesen hätte. Dieses Urtümliche, das Wilde der Natur. Eben nicht nur die friedliche Idylle eines Bergdorfs, in die sich der Mensch harmonisch einfügt, sondern auch Zerstörung, Kampf, Gewalt und Tragödie. Die Vergänglichkeit der Menschen, die Geschichten die sich wiederholen und die Berge, die bleiben und überdauern. Dennoch die große Bedeutung der Gefühle eines jeden Einzelnen, Schuld und Liebe und Angst und Wut. Ich mag die Bilder, die Solà entstehen lässt, manche Szenen haben sich richtig eingebrannt, manche Orte kann ich mir absolut lebendig vorstellen. Es ist ein unheimlich atmosphärisches Meisterstück und es ist diese Atmosphäre, die ich mir seit dem Auslesen regelmäßig (und insbesondere sonntagsmorgens) herzlichst zurückwünsche.