Rezension

viel besser als so manch gehypter deutscher Thriller!

Tannenstein - Linus Geschke

Tannenstein
von Linus Geschke

Bewertet mit 4 Sternen

Im Thriller von Linus Geschke "Tannenstein" geht es unter anderem tatsächlich um einen Wanderer, anders als der von mir letztens rezensierten Werk von Luka D'Andrea "Der Wanderer". Bei Luka D'Andrea ist der Wanderer eher eine okkulte Person, hier nun geht es richtig zur Sache. Wir erleben mit, wie der Wanderer in einem entlegenen Gasthaus mit Ruhe und Gelassenheit elf Männer und Frauen tötet, den Wirt aber unangetastet zurücklässt. Das Gasthaus liegt in dem nahe der tschechischen Grenze gelegenen Ort namens Tannenstein. Warum gerade dieser Ort, diese Personen getötet wurden, bleibt fast bis zum Schluss ein großes Rätsel, wobei sich Seite für Seite eine Ahnung aufbaut. Genauso geheimnisvoll ist der Wanderer selbst, von dem wir nur durch kurze Rückblenden in seine Vergangenheit einen Blick auf seine Seele erhaschen können.
Auf den Fersen des Wanderers ist Born, Alexander Born, der überzeugt ist, dass der Wanderer seine Kollegin und Freundin Lydia getötet hat. Born ist Polizist mit Leib und Seele, so dachte er zumindest. Doch er lässt sich verführen, wird kriminell und landet im Gefängnis. Die Gründe hierfür sind so banal wie nachvollziehbar und doch auch ein wichtiger Baustein für die Geschichte. Born bekommt im Gefängnis Besuch von Norah Bernsen, die Nachfolgerin von Lydia. Nach seiner Entlassung hilft Norah ihm, den Wanderer zu finden.
Gegenspieler von Born ist Wladimir Koslow mit den Zwillingen Andrej und Sergej Wolkow, die gemeinsam bei der Armee gedient und später bei der russischen Mafia zusammenarbeiten. Es geht um Prostitution und Waffenschmuggel, das Übliche. Was Born nicht ahnt bei seinen Recherchen, die auch seine Kontakte aus dem Ostblock betreffen, der Wanderer wildert in den Gefilden von Koslow. Ein munteres hin und her beginnt, spannungsgeladen und mit vielen Opfern.
Die Frage, um die es dem Autor hier geht, ist die nach der Selbstjustiz. Und noch viel mehr. Wie kann der Staat die immense Gewalt, die durch einzelne Gruppen oder Personen verursacht werden, durch entsprechende Urteile überhaupt noch sühnen lassen. Wie viele Jahre Gefängnis sind zu verhängen, damit die Abschreckung einsetzen kann, wenn sie überhaupt eine Wirkung erzielen soll. Geschke lässt seine Protagonisten zweifeln ob es überhaupt einen Sinn ergibt, die Verbrecher einzusperren oder zu töten, da ja doch die Nächsten schon auf ihre Chance warten, in diesem Metier reich zu werden.

Borns ehemaliger Partner bei der Polizei und nun Chef der Ermittler, Peter Koller, will einerseits Born unterstützen, ihn aber nicht zu tief in die Akten blicken lassen. So weiß man auch bei Keller lange Zeit nicht, auf welcher Seite er überhaupt steht. Norah Bernsen, die Überfliegerin und Polizistin mit Leib und Seele möchte so gerne das Richtige tun, doch die Regeln lassen ihr kaum eine Wahl, oder doch?
Die Leserschaft hat bei allen Figuren, die hier ihre Rolle ausspielen, Einblick in die Seelen derer, die Gewalt ausüben und empfangen. Was ist das Richtige, was absolut falsch? Es wird einem schlecht, bei dem immer wiederkehrend beschriebenen Missbrauch gegenüber der Frauen und Mädchen. Nichts davon wirkt unrealistisch, das macht das Ganze noch schlimmer. Ein Spiel mit den Gefühlen derer, die das Buch in die Hand nehmen. Anders als bei den üblichen, in den Rankings hoch geführten deutschen Autoren, erspürt man hier eine Atmosphäre, hat die Geschichte Tiefe und „Fleisch“. Noch fehlt einem das, was bei vielen englischsprachigen Autoren möglich ist, ein versinken in die Story. Oder die düstere Stimmung der nordischen Thriller, aber hier ist der Grundstein gelegt.

Über den Autor erfährt man zum Beispiel etwas unter https://www.dtv.de/autor/linus-geschke-21512/ aber auch bei Facebook ist er vertreten unter https://www.facebook.com/linusgeschke/

Und ein zweiter Band über den ehemaligen Polizisten Born wir unter dem Titel Finsterthal am 21. Februar veröffentlicht. Der dritte Teil dieser Trilogie erscheint im Januar 2021.