Rezension

Viel Experiment, wenig Erzählung.

Das Singen der Sirenen - Michael Wildenhain

Das Singen der Sirenen
von Michael Wildenhain

Bewertet mit 2 Sternen

Ob ich einen Artikel zum Deutschen Buchpreis 2017 schreiben soll? Was meint ihr? Ich frage mich manchmal, für wen die hochgelobten Autoren und Autorinnen denn schreiben. Für die Kritiker oder die Leser. Was hat ein Autor davon, wenn er gelobt (von sehr wenigen), aber nicht gelesen (nur vereinzelt) wird?

Wie auch im Roman „Das Lächeln der Alligatoren“, der mir sehr gut gefallen hat, agiert auch im Roman „Das Singen der Sirenen“, dessen Held inmitten einer politischen Landschaft. Er ist links und schlägt mit der Faust nach rechts.

War ich im erstgenannten Roman gefangengenommen von der Sprache und der Geschichte, bin ich im zweitgenannten schnell hauptsächlich genervt. Jörg, ein Privatdozent im Fach Vergleichende Literaturwissenschaften, war früher ein schlimmer Finger, direkter Gewalt nicht abgeneigt. Nun ist er in die Jahre gekommen. Er hat die Kurve ins Establishment gekriegt, doch seine Lebensgefährtin verweigerte sich dem System und schmiss in letzter Sekunde das Abi. So hängt er sie ab, die Ehe wird schal. Midlife crisis wird bekanntlich männlicherseits kuriert mit Sex.

Nichts Neues. Dennoch hätte man aus der Geschichte etwas Bewegendes machen können, wenn man gewollt hätte. Das wollte der Autor aber nicht. Er legt mit seiner Schreibweise eine Distanz über die Story. Das ist modern, ohne Zweifel. Man muss aus endlosen Relativsätzen, aus unendlichen sich schlängelnden Assoziationen und aus hin geschmissenen minutenlangen Aufzählungen, den Narrativgehalt aus dem Roman herauszuzzeln wie die Weißwurst aus der Pelle. Die wie Schutt aufgehäuften Details öden an. Sicher atmet man die Slums Londons, das Ranzige des billigen Fetts beim Inder, die Rugbyszenen haben durchaus etwas und der Schmelztigel Londons ist vorstellbar. Aber wenn das alles ist! Das wurde doch schon hundertmal erzählt!

Die Figur des Antihelden Jörg Krippen ist völlig in dem Fabulierwulst des Autors verklebt. Obwohl in diversen Rückblenden sein Leben aufgeschlagen wird, bekommt man diese Figur nicht richtig zu fassen. Was ist los mit dem Mann und wieso? Warum kann er nicht einmal ein einfaches Seminar sauber abwickeln und seine Arbeit machen, das kann doch jeder Dozent mit links. Warum lässt Jörg Krippen sich mit dem ersten Rock ein, der ihm über den Weg läuft? Und sofort ist es die große Liebe. Sexszene reiht sich an Sexszene. Midlife Crisis. So absolut gewöhnlich.

Fazit:
Erstens:
Ich halte Michael Wildenhain für einen exzellenten Schreiber. Wenn sein Roman so geworden ist, wie er geworden ist, dann wollte Herr Wildenhain das so. Genau so. Aber er kann nicht erwarten, dass mir das Ergebnis gefällt.

Zweitens:
„Das Singen der Sirenen“ verweigert dem Leser mit Absicht und nicht aus mangelndem Können eine „normale“ Erzählung zugunsten eines Assoziations-Entfremdungs-Experiments. Ergebnis: Rohrkrepierer!

Kategorie: Gehobene Literatur /Experimentelle Literatur
Verlag: Klett Cotta, 2017
 

Kommentare

Emswashed polterte am 15. Dezember 2017 um 08:11

Erstens: Nenn einen Autor niemals Schreiber.

Zweitens: Sexszene reiht sich an Sexszene? Na, da hast du doch doch ein wirklich starkes Argument für dieses Buch - Sex sells.

Und drittens: Ich habe mit Vergnügen diesen Veriss gelesen! "Herauszuzzeln, wie die Weißwurst aus der Pelle", "Wie Schutt aufgehäufte Details", haben mir ein breites Lächeln gezaubert, danke!

Emswashed korrigierte am 15. Dezember 2017 um 22:10

Ich möchte bitte noch ein R für den Verriss!

wandagreen kommentierte am 15. Dezember 2017 um 23:45

Genehmigt!