Rezension

Viel Lärm um Nichts

Axolotl Roadkill
von Helene Hegemann

Bewertet mit 2 Sternen

Helene Hegemann verpasst ihrer Heldin Mifti eine Vergangenheit und Gegenwart, die an die Abgründe menschlicher Existenz führt und eine alles hinterfragende Intelligenz. Das Leben als Drahtseilakt. Noch keine zwanzig Jahre alt, hochbegabt, ist Mifti und schon vergewaltigt worden, drogenabhängig und Halbwaise, wobei der verbliebene Elternteil, als Ansprechperson auch noch wegfällt, weil der Vater ausschließlich mit sich und seiner Arbeit beschäftigt ist. Der Roman ist aus der „Ich“ -Perspektive geschrieben.

Teilweise hat sich Helene Hegemann bei Internet Autoren bedient, um Mifti Authentizität verleihen zu können, was in der vorliegenden Ausgabe des Buches noch nicht namentlich vermerkt ist. Intertextualität nennt die Autorin ihr Vorgehen. Räusper.

Schon ein durchgeknalltes Luder, die Kleine, ich meine jetzt Mifti. Sie hangelt sich von einem Drogenrausch zum nächsten, begleitet von Ophelia, einem Theater reif dahin stöckelnden Aidswrack, immer auf der Jagd nach Ecstasy, dem nächsten Schuss, was bei Ophelia, die ansonsten im Roman kaum an Konturen gewinnt, durchaus doppeldeutig zu verstehen ist. Eine wahre Orgie an Schachtelsätzen gespickt mit Adjektiven breitet sich von der ersten Seite an vor dem Leser aus, wie ein feuchter Urwald durch den es zu stapfen gilt. Handlung gibt es kaum zu bestaunen, dafür oft zusammenhangloses Geschwafel und einen gänzlich undurchstrukturierten Text, bei dem die Sinnlosigkeit des Seins und die Verlorenheit des Individuums, die Bindungslosigkeit im gesellschaftlichen Kontext in den Mittelpunkt gerückt wird.

Wenn Mifti diesen Platz einmal kurz frei gibt. Denn Mifti setzt in ihrer pubertären Ego-Zentriertheit neue Maßstäbe. Worauf vielleicht, neben einer gewissen Bekanntheit ihres wirklichen Vaters, der Erfolg im deutschen Feuilleton beruht.

Und hier beginnen die Probleme des Romans. Laut der Hegemann will sie mit dem Roman nichts sagen, keine Geschichte erzählen, keine originelle Sprache entwickeln, weil es nichts zu sagen gibt und Originalität sowieso der größte Blödsinn von allem ist. Für mich liegt in der Unbewusstheit der Autorin das Scheitern des Romans begründet, der seine stärksten Phasen in der Mitte des Buches hat. Hier läuft die Handlung, einige Szenen sind brillant geschrieben, vor allem abseits der Sex, Drogen und Missbrauchsthematik gewinnt das Buch an Reife, wenn die Autorin alltägliche Begebenheiten schildert und den verbalen Flachsinn der Berliner Republik aufs Korn nimmt.

Denn selbstverständlich hat die Hegemann eine Geschichte zu erzählen, deren Eckpfeiler Wut, Trauer, Einsamkeit und fehlende Nestwärme ist und gar kein schlechte Geschichte im Großstadtlärm, der hauptsächlich aus dem Verlabern von Zeit besteht. Sie führt bis zu der erstklassigen Idee mit dem Axolotl, die sie leider ebenfalls zu lasch auflöst.

Wenn ein Autor von leidenden Menschen redet, sollte er ihn zeigen. Leider sind hier eine Reihe von handwerklichen Mängeln zu diagnostizieren. Neben den oben bereits genannten, beginnt auffallend oft ein Kapitel oder ein Absatz mit einem genialen Satz, den sie anschließend untermauern könnte. Doch ihre Gedanken laufen stets ins Leere, wie bei einem Anfängerschreibversuch. Man fragt sich zwangsläufig, woher die gelungenen Einstiegssätze kommen. Die Autorin, zweifellos enorm sprachbegabt, bekommt nur an wenigen Stellen ihren Roman argumentativ in den Griff.

Somit fehlt es dem Roman an Richtung, Struktur, Intention und dem damit verbundenen Bewusstsein. Vielleicht hätte die Hegemann den Stoff ein noch ein, zwei Jahre in der Schublade ruhen lassen sollen. So stehen zwar Reflexion und Selbstreflexion in Miftis Wortschatz hoch im Kurs. Auf dem Papier fehlt jedoch ein Blick hinter die Ego-Fassade. Die Zerrissenheit der Protagonisten ersäuft im Wortschwall, statt sichtbar zu werden. Tatsächlich erfährt der geneigte Leser wenig über eine misshandelte Halbwaise, die am Liebsten Drogen köchelt und sich die Zeit mit Sex und Partys vertreibt. Obwohl der größte Teil des Romans davon handelt bleibt der Roman in der Hinsicht blutleer und fad, weil Mifti so garantiert nicht existiert, also ein reines Konstrukt bleibt.

Vielmehr habe ich nach dem Lesen des Buches eine verwöhnte, überheblich, patzige, altkluge, nie um Urteile verlegene Allerweltsgöre vom Schlage: hochbegabte gefrustete Gymnasiastin vor Augen, die munter drauf losplaudert. Helene Hegemann hat sich zu wenig mit den Beweggründen ihres Schreibens auseinandergesetzt hat und eine Chance vertan. Einen epochalen modernen Hauptstadtroman zu schreiben. So bleiben die Verzückungen bei Damen und Herren von „Zeit“ und dem „Spiegel“ peinliches Beiwerk in einer medialen Inszenierung, wie es sie lange nicht mehr in Deutschland gegeben hat. Die Phrasendrescherei in Axolotl Roadkill bleibt Blendwerk und pure Effekthascherei, die nichts Neues bietet, vielmehr uralte deutsche Selbstbeschau zelebriert, derer ich ziemlich überdrüssig bin.

Wirklich ein Luder, die Helene, mein ich jetzt, eine verkopfte Halbwüchsige, die verkopfte Erwachsene literarisch einseift und alle Verkopften, ob groß, ob klein, fühlen sich nun im siebten literarischen Himmel. Ich dagegen fand die Entwicklung Miftis -gibt es eine?- sterbenslangweilig, weil einfach alles fehlt was gute Literatur für mich ausmacht. Lebendige Charaktere, eine interessante nachvollziehbare Geschichte und eine Schreibe, die einen vom Hocker haut.

Vielleicht könnte sie bei Kollegen wie Irvine Welsh in die Schule gehe, der hat mit Trainspotting ein verwandtes Thema aufgegriffen, originell, brachial und rasant in Szene gesetzt. Aber nicht abschreiben, liebe Helene, gelle?

Nach den Artikeln in einigen Zeitungen hatte ich bedeutend mehr erwartet. Mir ist als stünde ich im Museum vor einem schwarz gemalten Bild eines Kindes und ein Journalist neben mir behauptet es handele sich bei dem gerahmten Nichts um einzigartige Kunst, die zehn Million Dollar wert sei. Mir wird da ganz schwarz vor Augen. Insgesamt kann man sagen: Das Buch ist so gut, wie Hannibal Lecter Liebenswürdig ist.