Viel mehr als ein Gerichtsdrama
Bewertet mit 4.5 Sternen
02.04.2020 – 15:52
Von rotschopf.
In ihrem Debütroman "Miracle Creek" schreibt Angie Kim über einen Gerichtsprozess. Der Angeklagten Elizabeth wird vorgeworfen, ihren autistischen Sohn Henry getötet zu haben. Sie soll bei einem Sauerstofftank ein Feuer gelegt haben, durch das Henry ums Leben kam und mehrere andere Patienten der bei Unterdruck stattfindenden Sauerstofftherapie verletzt wurden.
Die einzelnen Kapitel werden aus der Perspektive unterschiedlicher Personen geschildert, darunter Elizabeth selbst und die Mitglieder der Familie Yoo. Die Yoos waren die Betreiber der Sauerstofftherapie und sind wenige Jahre zuvor aus Korea eingewandert, um ihrer Tochter Mary eine bessere Zukunft bieten zu können. Die Mutter Young Yoo fühlt sich selbst schuldig an dem Unglück und kann es kaum glauben, dass nicht sie selbst oder ihr Mann auf der Anklagebank sitzen. So entstehen gleich zu Anfang Zweifel, ob Elizabeth wirklich schuldig ist.
Durch die verschiedenen Perspektiven und die Einblicke in das Innenleben der Charaktere wird das Buch erst richtig interessant - natürlich spielt es eine Rolle, wer das Feuer gelegt hat, aber genauso geht es auch um Themen wie Immigration, Diskriminierung und das Leben mit behinderten Kindern. Keine der Figuren scheint die ganze Wahrheit zu kennen, sondern ist immer auf Mutmaßungen über die anderen angewiesen. Niemand traut den eigenen Freunden und der eigenen Familie vollständig, zumal jeder auch eigene Geheimnisse hat - gerade das macht die Charaktere interessant und lebensnah.
"Miracle Creek" liest sich angenehm und flüssig, ohne Schnörkel. Es ist ein sehr interessanter Roman über die Schwierigkeiten, auf die koreanische Einwanderer in den USA treffen können, über Familie und Familienzusammenhalt und über das Leben mit autistischen Kindern - all das geschickt verpackt als spannenden Gerichtsdrama. Ein faszinierendes Debüt, für Krimileser und Romanfans gleichermaßen.