Rezension

Viele Tote, viel Blut, viel Sex und böser Humor - Gewöhnungsbedürftige, aber faszinierende Mischung

Nevernight (The Nevernight Chronicle, Book 1) - Jay Kristoff

Nevernight (The Nevernight Chronicle, Book 1)
von Jay Kristoff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt
Mia Corvere war zehn Jahre alt, als ihr Vater vor ihren Augen ermordet wurde. Als die Männer von Konsul Scaeva versuchten, auch sie zu ermorden. Als sie schwor, ihre Familie zu rächen.
Jahrelang wurde das Mädchen von ihrem Shahiid Mercurio ausgebildet, um nun in der Roten Kirche zu einer Auftragsmörderin zu werden. Hinter den Mauern des geheimnisvollen Gebäudes warten die gefährlichsten Menschen des Kontinents, harte Prüfungen, tödliche Geheimnisse sowieso Freundschaften und neue Feinde auf Mia.

Meinung
Alleine die wunderschönen und düsteren Cover hätten gereicht, um mich für das Buch zu begeistern. Als ich dann auch noch mitbekam, dass die Hauptfigur eine jugendliche Auftragsmörderin ist, war es um mich, mit meiner Liebe für starke, ungewöhnliche weibliche Hauptfiguren, geschehen.
Und obwohl „Nevernight“ in gewisser Weise doch anders war als erwartet und definitiv ein ungewöhnliches Buch ist, hat es mich absolut in seinen Bann gezogen.
Ich muss zugeben, der Einstieg in das Buch fiel mir ziemlich schwer.
Der Erzähler des Buches, über dessen Identität ich schnell eine Vermutung hatte und der scheinbar selbst Teil der Geschichte ist, hat eine sehr ungewöhnliche Art zu erzählen. Bereits im Vorwort nimmt er einige große Entwicklungen der Reihe vorweg und kommentiert das ganze Buch über das Geschehen äußerst ironisch und mit sehr bösem Humor. Nach einer Weile gewöhnte ich mich jedoch an diesen Stil und empfand ihn als erfrischend.
Auf den ersten Seiten musste ich mich zunächst auch an die Erzählweise gewöhnen, in der Gegenwart und Flashbacks sich regelmäßig abwechseln, wobei letztere durch kursive Schrift gekennzeichnet sind.
Am gewöhnungsbedürftigsten waren für mich jedoch die häufig verwendeten Fußnoten, die teilweise über eine halbe Seite gehen und Informationen über Itreya, die dortige Kultur, Religion und Geschichte geben, ebenfalls durchsetzt von zynischen Kommentaren des Erzählers. So interessant und unterhaltsam diese Informationen auch waren, so sehr haben sie zum Teil auch meinen Lesefluss gestört. Ich vermute, dass man das Buch im Zweifelsfall auch ohne die Fußnoten lesen könnte.
Es dauerte jedoch nicht lange, und „Nevernight“ hatte mich vollkommen in seinen Bann gezogen. Die vom alten Rom inspiriertere Fantasywelt mit der Religion rund um den Lichtgott Aa und seine vier Töchter faszinierte mich und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Kristoff mit Itreya den Aufstieg und Untergang der Römischen Republik parodierte. Es ist beeindruckend, wieviele Gedanken der Autor sich auch um die Geschichte und politische Details seiner Welt gemacht hat, die für die Handlung direkt keine Rolle spielen, und ich freue mich schon darauf, in den nächsten beiden Büchern mehr über Itreya zu lernen.
Auch Mias Geschichte riss mich mit, so altbekannt das Motiv des Kindes, das den Tod seiner Eltern rächen will, auch ist. Ich habe, wie gesagt, eine Schwäche für starke weibliche Hauptfiguren und war ein großer Fan des mutigen, klugen, teilweise kaltblütigen Mädchens, das in „Nevernight“ für ihre Rache kämpft. Obwohl Mia in der Roten Kirche auch Freunde findet und Gefühle für eine Figur entwickelt, bleibt der Roman seiner Linie treu und driftet nie Richtung Kitsch ab. Der Fokus liegt immer auf Mias Ausbildung zur Mörderin und der Erinnerung an all das, was sie verloren hat und was sie rächen will.
Das Setting der geheimnisvollen Schule mit den ungewöhnlichen Methoden und dem Wettbewerb zwischen Jugendlichen, die sich mitunter auch gegenseitig ausschalten, ist zwar ebenfalls keineswegs neu, konnte mich aber dennoch packen. Die Handlung und die Enthüllungen überraschten mich immer wieder und das Ende ließ mich mit dem Wunsch zurück, sofort zu Band zwei zu greifen, und das, obwohl viele Handlungselemente mir aus anderen Büchern bekannt vorkamen. Jay Kristoff versteht es, altbekanntem Stoff seine ganz persönliche Note zu verleihen und ihn überzeugend als etwas spannendes Neues zu verkaufen.
Teilweise sind Mia und ihre Kräfte das typische Klischee der Jugendbuch-Actionheldin, denn sie ist trotz ihrer jungen Jahre furchtlos, extrem gut im Kämpfen und durch ihre darkin-Kräfte etwas Besonderes, in den Augen mancher sogar von der Göttin Niah auserwählt. So oder so ähnlich hat man das alles schon mal gelesen.
Angenehmerweise erklären ihre Kräfte als darkin und Mr. Kindly jedoch zumindest die für einen Menschen schon unrealistische Furchtlosigkeit. Und obwohl Mia einige „Ein Einzelnes Mädchen kann schaffen, was bisher niemand geschafft hat“-Momente hat, zeigt sie auch immer wieder Unsicherheit, Mitleid und Schwächen. Sie ist als Figur nicht unbedingt menschlich sympathisch, doch man kann gut mit ihr mitfiebern und ihre interessante Entwicklung nachvollziehen.
Die meisten anderen Figuren lernt man eher oberflächlich kennen, so zum Beispiel die Shahiids (Lehrer) in der Roten Kirche oder Jessamine, eine Mitschülerin von Mia, die sich bereits an ihrem ersten Tag zu ihrer Feindin erklärt. Viele dieser Charaktere sind dennoch faszinierend und haben Potential, in den kommenden Büchern eine größere, interessante Rolle zu spielen. Andere Figuren haben, obwohl die Erzählung eindeutig auf Mia fokussiert ist, erstaunlich viel Tiefe und ich habe um sie getrauert oder freue mich auf eine erneute Begegnung mit Ihnen im nächsten Band.
Auf eine Sache möchte ich noch hinweisen, sollte euch die Geschichte von „Nevernight“ ansprechen: Dieses Buch ist trotz des Alters der Hauptfigur nicht zwingend ein Jugendbuch. Es wird viel geflucht, es gibt sehr explizite, aber gut geschrieben Sexszenen (in denen Verhütung allerdings keine Rolle spielt - insofern nur etwas für die aufgeklärten Leser*innen unter uns ;)) und vor allem ist es extrem brutal. Leute werden in Stücke gerissen, ersticken an ihrem eigenen Blut oder werden gefoltert und das nicht selten auch von der Hauptfigur. Eine gewisse Reife und einen starken Magen sollte man meiner Meinung nach besitzen, um dieses Buch lesen und sich von einigen Elementen distanzieren zu können. Wer nicht auf Blutbäder steht, ist hier eher an der falschen Adresse.

Fazit
„Nevernight“ überzeugt trotz der gewöhnungsbedürftigen Erzählweise durch ein faszinierendes Setting, eine starke Hauptfigur, mit deren Schicksal man mitfiebert und die eine tolle Entwicklung durchmacht, und eine spannende Handlung und bösen Humor. Aber Achtung: Es fließt wirklich viel Blut.