Rezension

Viele Zigaretten, viel Alkohol, sehr französisch

Der Unfall auf der A35 - Graeme Macrae Burnet

Der Unfall auf der A35
von Graeme Macrae Burnet

Bewertet mit 5 Sternen

Nur wenige Kilometer von meinem jetzigen Wohnort verläuft die A35 im Elsass. Genau deswegen fand das Buch mein Interesse, zugegebenermaßen ein etwas seltsamer Grund für eine Leseentscheidung. Denn vom Autor hatte ich bislang nichts gehört und nichts gelesen. Aber vom Verlag dafür umso mehr.

 

In der Handlung geht es in der Tat um einen Autounfall auf der A35, nahe des verschlafenen Städtchens Saint Louis. Bertrand Barthelme, der Fahrer, ist nachts frontal gegen einen Baum gefahren und dabei umgekommen. Nicht besonders spektakulär. Aber da gibt es den schrulligen Kommissar Georges Gorski, der sich ein ganz eigenes Bild von dem Toten und seinem Vorleben macht. Und auch Barthelmes 17-jähriger Sohn Raymond beginnt, Geheimnissen im Leben seines verstorbenen Vaters auf die Spur zu kommen…

 

Langweilig ist es nicht, das Buch. Spannend ist es auch nicht. Seltsam ist es, und in seiner Seltsamkeit wiederum fesselnd. Wird eine fiktive Geschichte erzählt, eine Geschichte, die sich nur aus Vermutungen ernährt, oder lesen wir doch einen klassischen Kriminalroman mit der üblichen Aufklärung am Ende? Es bleibt verwirrend. An den etwas spröden Sprachfluss musste ich mich erst einmal gewöhnen, an die ausufernd geschilderten Barbesuche auch. Und an dieses endlos höfliche Miteinander unter Kollegen oder im Umgang mit Zeugen, diese konfliktvermeidenden Konversationen, die nie auf den Punkt kommen und doch erhellend sind. Weitschweifig wird erzählt. Bis ins letzte Detail versehene Schilderungen, mit scharfer Beobachtungsgabe wahrgenommen, füllen die Seiten und haben mir Einiges an Geduld abverlangt. Das Buch verhält sich oft seitenlang so, als wolle es gar nicht gelesen werden, als entziehe es sich dem Leser willentlich. Der Autor schafft es zum Beispiel, eine halbe Buchseite lang allein darüber zu referieren, welche Gedanken und Mutmaßungen ein offener Schnürsenkel bei Gorski hervorruft. Und entwickelt aus solchen Schilderungen heraus klammheimlich ein intensives Psychogramm des Betreffenden. Das ist kunstvoll, aber auch anstrengend.

Das Buch mutet mich an wie einer dieser französischen Spielfilme, die langsam, sehr langsam eine Geschichte in vielen Facetten erzählen, aber nicht wirklich von der Stelle kommen. Viele Zigaretten, viel Alkohol – und die Frage, wie ein Schotte so schreiben kann, als sei er ein Franzose, und zwar einer der alten Schule?