Rezension

vielfältiges Buch, was "Frau" alles heißen kann

Lieben muss man unfrisiert - Nadine Kegele

Lieben muss man unfrisiert
von Nadine Kegele

Lieben muss man unfrisiert gibt Berichte von Frauen wieder. Wie sie ihr Leben rückblickend und aktuell bewerten. Was sie erlebt haben, aber auch wie ihre Stellung als Frau ist. Ein sehr wichtiges Thema also und ich wünsche mir, dass mehr Menschen – egal welchen Geschlechts – sich damit befassen.

 

Die Aufzeichnungen, die Nadine Kegele hier liefert, unterliegen keiner höheren Ordnung. Sie sind weder alphabetisch noch zeitlich geordnet. Und das ist auch gut so. Eine zeitliche Einteilung käme einer Chronik gleich und keiner Bestandsaufnahme. Der Eindruck entstünde, hier würde eine Entwicklung aufgezeigt. So war das Frauenbild – so ist es heute. Doch – und das zeigt dieses Buch wunderbar – es gibt nicht DAS Frauenbild. Es gibt Elemente und Zuschreibungen, Vorurteile und Umstände, die Faktoren für die Vorstellung der Frau sind. Und doch gibt es in diesem Buch lediglich parallelen zwischen den einzelnen befragten Frauen – keine Überschneidungen.

Außerdem, und auch diesen Umstand liebe ich hier, sind die Gesprächsteilnehmerinnen so großartig divers. Migrantinnen und Emigrantinnen, Traditionelle und Konservative, Junge und Alte, Weiße und Schwarze, Mütter, Großmütter, Alleinstehende, Lesbische, Transgender, Queer. Statt nur zu fragen, wie Frauen heute leben, fragt das Buch hier auch was eigentlich eine Frau ausmacht. Auch zieht Nadine Kegele dabei durch die verschiedenen sozialen Schichten. Von der Anwältin zur Putzfrau, von der Tänzerin zur Wissenschaftlerin, von der Schülerin zur Architektin. Das öffnet die Augen und zeigt die eigene Begrenztheit der Erfahrungen auf.

Geradezu erschütternd ist, wenn die einen vom Kampf gegen das Patriachat reden, vom Wunsch nach Gleichberechtigung, der freien Entfaltung des eigenen Seins – und die anderen gerade diese Regeln als Gottgegeben aufzeigen. Auch hier arbeitet das Buch fesselnd. Indem es diese Meinungen lediglich präsentiert, aber nicht gegeneinander aufwiegt, schafft es einen Vergleich zu ermöglichen, ohne selbst zu werden. Generell nimmt die Fragestellerin sich in den Aufzeichnungen so gut es geht heraus. Lediglich das von den Befragen Gesagte ist abgetippt. Zu behaupten, dadurch wäre ein objektiver Blick gewährleistet ist aber fatal. Nur weil sie „herausgeschnitten“ ist, heißt das nicht, dass sie keine Fragen gestellt hat. Das zeigt sich in den Antworten, wenn direkt auf Nachfragen zu Berufsaussichten, Ungerechtigkeiten, Erfahrungen eingegangen wird.

Hier zeigt sich, dass die Intention des Buches doch klar ist, Missstände aufzuzeigen. Gehaltsunterschiede zwischen Männer und Frauen werden genauso angesprochen wie Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bildung, Aussehen, Diskriminierungen kommen zu Sprache. Aber eben aus so vielen Perspektiven und teilweise auch mit Kritik an dem Konzept des Buches selbst, dass ich wirklich erstaunt, beeindruckt, erschreckt und begeistert zugleich war. Gerade durch diesen vielseitigen Blick wird für mich jedenfalls die Zuschreibung „Frau“ offener und weiter. Gleichzeitig bin ich geradezu entsetzt, wie viele Belästigungen hier zur Sprache kommen, Übergriffe, Gewalt, Anfeindungen.

Wie prägend die Einteilung in Frau und Mann ist – in all ihren Einzelheiten – ist kaum fassbar. Aber dieses Buch bietet zumindest auf der einen Seite und in sehr vielen Facetten einen guten Ansatz, um es herauszufinden.