Rezension

Vielseitiger True Crime-Roman mit zwei jugendlichen Heldinnen

Unser Buch der seltsamen Dinge -

Unser Buch der seltsamen Dinge
von Jennie Godfrey

Miv und ihre Freundin Sharon sind Ende der Siebzigerjahre gerade ins Teenageralter gekommen. Trotz der Tatsache, dass die beiden Mädchen grundverschieden sind, verbindet sie eine enge Freundschaft. Sie leben im nordenglischen Yorkshire. Margaret Thatcher ist seit Kurzem Premierministerin, und ganz Nordengland lebt in Furcht vor einem Serienmörder, der seit 1975 sein Unwesen treibt, aber einfach nicht zu fassen ist. Da beschließt Miv, selbst Ermittlungen anzustellen, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Gemeinsam mit Sharon macht sie sich auf die Suche nach dem Yorkshire Ripper. Ein gefährliches Unterfangen, wie die beiden Mädchen bald feststellen werden. Ihre Beobachtungen notieren sie in ihr „Buch der seltsamen Dinge“.

Eben dieses Buch ist der Namensgeber für den Titel des ersten Romans aus der Feder der englischen Autorin Jennie Godfrey. Erst in diesem Jahr erschien ihr Debüt unter dem Originaltitel „The List of Suspicious Things“. Ins Deutsche übersetzt hat „Unser Buch der seltsamen Dinge“ Susanne Keller. Am 15. August 2024 wurde die deutsche Ausgabe bei dtv veröffentlicht.

Die Frage, in welches Genre das Buch am besten passt, lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Jennie Godfrey hat mit ihrem Erstling einen Roman mit Jugendbuch-Anteilen verfasst, der auf einer True Crime-Story basiert und gleichzeitig einen authentischen geschichtlichen Abriss eines unruhigen Landes Ende der Siebzigerjahre zeichnet. „Unser Buch der seltsamen Dinge“ ist ein vielseitiger Roman, der ein ganzes Füllhorn von Themen beinhaltet und dadurch nie auch nur den leisesten Hauch von Langeweile aufkommen lässt.

In Jennie Godfreys Roman scheinen außerdem einige biografische Erlebnisse der Autorin eingeflossen zu sein. Immerhin kannte ihr Vater den Yorkshire Ripper Peter Sutcliffe persönlich. Peter Sutcliffe tötete im Zeitraum von 1975 bis 1980 13 Frauen auf brutale Weise, verletzte außerdem acht weitere Frauen schwer und führte die Polizei lange Zeit an der Nase herum. 1981 konnte er dann schließlich geschnappt werden.

Die Autorin schildert die nachvollziehbare Angst der jungen Mädchen, die sich vor einem Schatten an der Straßenecke fürchten und darauf achten, möglichst nicht allein unterwegs zu sein, sehr einfühlsam. Vor dem Hintergrund der steten Bedrohung lässt Jennie Godfrey allerdings nicht zu, dass sich die Mädchen in Panik zu Hause einigeln. Sie haben trotzdem Spaß, sind zum ersten Mal verliebt, neugierig, schließen neue Freundschaften und lassen sich vom Ripper nicht ihr Leben diktieren. Gut so, denn sonst wäre das Buch wohl ziemlich öde geworden.

Mit beeindruckender Leichtigkeit versetzt Jennie Godfrey ihre Leser in die aufgeladene Atmosphäre des Englands Ende der Siebzigerjahre. Die verhasste Premierministerin Thatcher, the milk snatcher, strich den Schulkindern die Pausenmilch (worauf wohl auch der schwarze Vogel mit den Milchflaschen auf dem Cover anspielt), während die Textilfabriken verfallen, die Arbeitslosigkeit weiter steigt und Fremdenfeindlichkeit an der Tagesordnung ist.

Das Städtchen, in dem Miv und Sharon leben, beschreibt Jennie Godfrey so bildreich, dass man förmlich an der Seite der Freundinnen an typischen Reihenhäuschen und verlassenen Fabrikgebäuden vorbeiläuft. Die Tristesse, das Grau des Alltags, transportiert die Autorin ganz wunderbar. Auch die Eigenheiten der Bewohner von Yorkshire und ihr ganz besonderer Dialekt spielen natürlich eine Rolle im Roman.

Kurzum: Jennie Godfrey hat ein großartiges Buch geschrieben, das durch Vielseitigkeit, Authentizität und Atmosphäre glänzt und in dessen Mittelpunkt zwei starke Mädchen stehen, die sich neben der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens mit einer ganzen Reihe weiterer Probleme und sogar einem Mörder auseinandersetzen müssen.