Rezension

Vielversprechender Debütroman, allerdings mit Abstrichen

Was wir dachten, was wir taten - Lea-Lina Oppermann

Was wir dachten, was wir taten
von Lea-Lina Oppermann

Bewertet mit 3 Sternen

Über das Thema Amoklauf in Schulen wurde schon viel geschrieben. "19 Minuten" von Jodi Picoult. "54 Minuten" von Marieke Nijkamp. "Es wird keine Helden geben" von Anna Seidl. Und ich könnte, ganz spontan aus dem Kopf heraus, noch weitere Bücher nennen. Es ist natürlich ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr an Brisanz gewonnen hat: früher kamen solche Amokläufe hauptsächlich in den USA vor, inzwischen haben sie leider auch Deutschland erreicht.

Diese Bücher werden zunehmend von blutjungen Autorinnen geschrieben, die noch ganz nah dran sind am Schulalltag. So war Anna Seidl erst 16, als sie ihren Roman schrieb, und Lea-Lina Oppermann war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung  von "Was wir dachten, was wir taten" 18 Jahre alt.

Man merkt, dass die Autorin sich noch gut hineinfühlen kann in ihre Protagonisten, denn die erschienen mir alle sehr 'echt' und glaubhaft. Auch die Gruppendynamik, die sich in Schulklassen entwickelt, stellt sie wunderbar authentisch und feinfühlig dar – inklusive ihrer dunklen Elemente, von Mobbing über Gruppenzwang bis hin zu Magersucht und... Nein, das verrate ich besser noch nicht. Der Schreibstil ist sehr authentisch und dabei auch unterhaltsam.

Lea-Lina erzählt ihre Geschichte auf kleinstem Raum, aufgeteilt auf drei Perspektiven: Lehrer, Streberin, Klassen-Assi. Aber man merkt schnell, dass die Charaktere sich nicht wirklich in diese Schubladen zwängen lassen, und durch ihre Augen bekommt man auch ein gutes Bild der anderen Schüler.

In den meisten Büchern über Amokläufe eskaliert die Situation extrem schnell, es dauert nicht lange, bis Schüsse fallen und Menschen sterben. Aber der Amokläufer in diesem Buch will mehr als das, die Waffe ist nur das Mittel, um Gehorsam zu erzwingen. Denn er hat Aufgaben vorbereitet, die Geheimnisse bloßstellen und Verborgenes ans Licht zerren...

Wer einen rasanten, blutigen Thriller sucht, ist hier sicher an der falschen Adresse, aber die Geschichte entwickelt ihren ganz eigenen Sog. Viele der Aufgaben erscheinen fast lachhaft harmlos und pubertär, andere decken auf, wie schnell der Mensch bereit ist, anderen weh zu tun, um sich selbst zu retten... Es gibt in meinen Augen zwischendurch leider auch Längen – Szenen, die mehr oder weniger Raum gebraucht hätten. Aber ich konnte das Buch dennoch kaum mal zur Seite legen.

Gut gelungen fand ich, wie die Autorin ihren drei Hauptfiguren jeweils eine ganz eigene Stimme verleiht. Ich habe erst das Buch gelesen, dann das Hörbuch gehört, und bei dem kommt noch dazu, dass die Sprecher wirklich großartige Arbeit leisten. Sie erwecken ihre Rollen sehr überzeugend zum Leben, besonders Birte Schnöink als Fiona fand ich großartig. 

Das Ende hat mich sehr enttäuscht. Wenn ich dieser Enttäuschung jetzt nachspüre, liegt es wohl daran, dass man zwar andeutungsweise erfährt, was diese Tat ausgelöst hat, es aber nie wirklich in die Tiefe geht. Ja, ich weiß jetzt, wer in dieser Klasse ein Mobber ist, wer ein Mitläufer, wer das Lieblingskind des Lehrers... Und dass einer davon etwas viel Schlimmeres getan hat. Die Schlüsselfigur in diesem Drama, nämlich die maskierte Person mit der Pistole, blieb für mich jedoch wie ein großer weißer Fleck auf der emotionalen Landkarte. Erst ganz am Schluss gibt es eine Art Erklärung, die aber auf mich seltsam distanziert wirkte.

Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht soll der Amokläufer eine Art Platzhalter sein, damit sich der Leser an an seine Stelle versetzen und sich fragen kann: Wie würde ich mich da fühlen? Wie hätte ich reagiert? Dann allerdings hätte ich mir am Schluss mehr kritische Reflexion der Tat gewünscht, damit jugendliche Leser nicht mit dem Eindruck aus dem Buch gehen, dass der Amoklauf die einzig richtige Reaktion war.

Als Schullektüre finde ich das hingegen gut geeignet, weil die Klasse dann über gemeinsame Diskussion viel erarbeiten kann! 

Fazit:
Lea-Lina Oppermann erzählt die Geschichte eines Schulamoklaufs, der ganz anders verläuft, als man erwarten würde. Dabei ist sie ganz nah dran an ihren Protagonisten, was sicher auch an ihrem jugendlichen Alter liegt – als sie das Buch schrieb, was sie selber erst 18 Jahre alt, kennt sich also aus mit dem, was in Schulklassen heutzutage so alles abläuft. Und das merkt man.

Für mich scheiterte das Buch letztendlich ein Stück weit am Ende, denn das lässt den Leser ziemlich in der Luft hängen. Die Motive des Täters werden kurz abgehandelt, aber das ging für mich zu schnell und nicht genug in die Tiefe. Einen jugendlichen Leser würde ich ungern mit dem Buch alleine lassen, da mir die kritische Hinterfragung der Tat fehlte.