Rezension

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Vielversprechendes Setting und gute Grundidee, aber leider schwache Umsetzung (Logiklöcher, wenig Spannung, zu frühe Auflösung)!

Als das Böse kam -

Als das Böse kam
von Ivar Leon Menger

~ Nach einem mysteriösen, starken Beginn geht es leider nur noch bergab. Dieser Thriller hat mich leider sehr enttäuscht, denn aus dem vielversprechenden Setting und der guten Grundidee hätte man so viel mehr machen können! Besonders gestört haben mich die großen Logiklöcher, die viel zu frühe Auflösung, der daraus resultierende Spannungsabfall und die blass bleibenden Figuren. Von mir gibt es deshalb leider keine Leseempfehlung! ~

* Achtung: Die Rezension enthält Spoiler! Vor diesen wird aber im Text noch einmal gewarnt. *

Inhalt
 
Die 16-jährige Juno wohnt mit ihrem Bruder und ihren Eltern isoliert und bescheiden auf einer Insel. Die Familie lebt in ständiger Alarmbereitschaft und Angst vor den „Fremdlingen“. Doch Juno ist kein Kind mehr – sie beginnt, Fragen zu stellen und auf eigene Faust gefährliche Nachforschungen anzustellen…
 
Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel

Tiere im Buch: + / - Im Buch werden Fische für Nahrung getötet. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Gewalt (auch gegen Kinder), Blut, psychische Krankheiten
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

Ich habe diesen Thriller bei der diesjährigen Netgalley-Challenge entdeckt und wollte ihn unbedingt lesen, weil der Klappentext spannend klang. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Rezensionen dazu.
 
Kurzrezension

Das mochte ich…

+ den spannenden, mysteriösen Einstieg in die Geschichte, der neugierig und Lust auf mehr macht.
+ die Kürze des Thrillers, wodurch er sich sehr gut als Buchsnack für zwischendurch eignet.
+ die interessante Grundidee (aus der man allerdings mehr hätte machen können).

„Man muss die richtigen Entscheidungen treffen, wenn man angegriffen wird.“ Ich komme in Fahrt. „Falls die Fremdlinge auf unserer Insel auftauchen. Vater will, dass wir uns verteidigen können.“ E-Book, Position 38

 

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

~ der einfache Schreibstil, der sich zwar flüssig und angenehm lesen lässt, der mir aber in manchen Momenten zu abgehackt war und zu oberflächlich blieb.
~ die jugendliche Protagonistin, die zwar mutig und stark, gleichzeitig aber auch sehr naiv ist und sich irrational verhält. Einerseits finde ich es wunderbar, dass immer mehr männliche Autoren sich an weibliche Hauptfiguren herantrauen, andererseits sollte man sich nur als Mann für eine so junge, weibliche Protagonistin entscheiden, wenn man sich auch gut in eine Person hineinversetzen kann, die von der eigenen Lebensrealität weit weg ist. Das ist Ivar Leon Menger leider nur bedingt gelungen. Sobald Juno auf einen anderen Menschen trifft, drehen sich ihre Gedanken zu oft um ihre Schönheit und ihre Wirkung auf Männer. Bei einer jungen Frau, die ohne soziale Medien, Zeitschriften und TV aufgewachsen ist – und damit ohne toxische Körperbilder - bezweifle ich, dass sie SO oberflächlich denken würde.
~ das vielversprechende Setting (isolierte Insel, Angst vor einer unbekannten Bedrohung, ständige Alarmbereitschaft), das unglaublich viel Potential hatte, aus dem man aber auch viel mehr herausholen hätte können.
~ die gelungene Wahl der Themen (Erwachsenwerden, Emanzipation von den Eltern, Familie, erste Liebe), die jedoch leider nicht tiefgründig genug ausgearbeitet wurden.
~ die Atmosphäre, die ich zumindest in den ersten Kapiteln (später leider nicht mehr) als sehr dicht und rätselhaft empfand.
~ der Feminismus. Wir haben zwar einerseits eine mutige, starke Hauptfigur und keinerlei gegenderte Beleidigungen (dafür ein Lob!), andererseits gibt es leider auch ein paar Geschlechterstereotype (Junge lernt fischen, Mädchen stricken, Gedanken des Mädchens kreisen um ihr Aussehen) und die Periode wird als etwas ganz Schlimmes, Peinliches, Ekelhaftes dargestellt, das unbedingt vor dem Bruder (der immerhin auch schon 12 Jahre alt ist) verborgen werden muss. 3 Sterne kann ich in diesem Bereich deshalb guten Gewissens vergeben, mehr aber nicht.

„Noch bis vor wenigen Tagen hätte ich genauso verängstigt reagiert wie Boy. Wie ein kleines Kind. Doch das bin ich nicht mehr. Ich stelle Fragen und finde Lösungen.“ E-Book, Position 492

 

Das hat mir nicht gefallen…

- die viel zu frühe Auflösung (schon im ersten Drittel!), durch die der Spaß am Miträtseln ein allzu frühes, jähes Ende fand. Es folgen dann auch keine unerwarteten Wendungen mehr – das Pulver ist an diesem Punkt schon verschossen, die Luft ist raus.
- der Spannungsabfall nach der Auflösung. Da habe ich dann leider nicht mehr so mitgefiebert wie noch am Anfang der Geschichte.
- die Vorhersehbarkeit, die sich nach der Auflösung ebenfalls einstellt.
- die Tatsache, dass das Printbuch den Leser·innen eine offene Frage beantwortet, die den E-Book-Leser·innen aber vorenthalten wird (Zettel). Hier hätte es doch sicher eine (wenn auch nicht ganz so elegante) Möglichkeit gegeben, diese Gruppe auch teilhaben zu lassen!
- die Nebenfiguren, die leider relativ eindimensional und blass bleiben.

* Achtung: Spoiler ab hier! *

- die großen Logiklöcher, die mir die Lektüre ab einem gewissen Punkt leider vermiest haben. Mit jeder Seite verhalten sich die Figuren dümmer und weniger nachvollziehbar – es war kaum auszuhalten! Dabei bin ich wirklich keine Person, der jeder Logikfehler sofort auffällt. Juno und ihr Bruder bringen sich so oft mit ihrem irrationalen Verhalten in Lebensgefahr, dass man meinen könnte, die zwei hätten einen Todeswunsch. Zum Beispiel sind beide in einer Szene im unterirdischen Bunker eingesperrt; sie schweben in Lebensgefahr und sind sich darüber bewusst, dass das Handy ihre einzige Rettung ist, trotzdem streiten sie darum, bis es runterfällt und kaputtgeht. Am schlimmsten fand ich aber das Verhalten der Polizei: Wenn sich die Polizei (es handelt sich sogar um eine Spezialeinheit der Interpol) wirklich in der Realität so derart dilettantisch und inkompetent verhalten würde, dann GUTE NACHT! Besonders unglaubwürdig fand ich den Polizisten Luca (Mitte 20), der hinter dem Rücken seines Chefs eigene Pläne macht und dadurch nicht nur die ganze Operation in Gefahr, sondern zwei Kinder mehrfach in Lebensgefahr bringt.

Beispiele: Er fährt zur Insel (unklug!), lässt sich vom Entführungsopfer, das gerettet werden soll, dabei sehen, flirtet mit dieser naiven 16-Jährigen (seiner Schutzbefohlenen!) (ekelhaft!) und erzählt ihr auch noch von den Rettungsplänen (ganz dumme Idee!), sodass sie überhaupt erst auf die Idee kommt, Nachforschungen anzustellen, und sich dadurch in Lebensgefahr begibt, weil die Eltern natürlich misstrauisch werden. Er gibt Juno ständig vollkommen unverantwortliche, lebensmüde Aufträge (besorg ein wichtiges Beweisstück, trag deinen kranken Bruder nachts ans Ufer, triff dich nachts heimlich mit mir) und bringt dadurch beide Kinder mehrmals in große Gefahr! Eines Tages beschließt er dann, die zwei Opfer auf eigene Faust zu retten (angeblich wird die Insel überwacht, wieso bemerken seine Kolleg·innen seine Alleingänge eigentlich nie?). Als sie endlich beide in seinem Boot sitzen – Luca weiß, dass sich gerade alle in absoluter Lebensgefahr befinden – beschließt er, anscheinend von allen guten Geistern verlassen, zum Haus zurückzulaufen und ein Beweismittel vor dem Regen zu retten, wodurch er das Leben aller 3 Menschen im Boot unnötigerweise riskiert (was dann auch entsprechend endet)! Luca verliert zwar irgendwann im Laufe dieser Vorkommnisse seinen Job, aber ich finde es einfach absolut unrealistisch, dass sich ein Interpol-Polizist überhaupt je so unprofessionell, inkompetent und stümperhaft verhalten würde. Wie ist der an seinen Job gekommen? Hat er den im Lotto gewonnen? Ich konnte an vielen Stellen nur den Kopf schütteln und frustriert aufseufzen. Die Logikfehler waren so zentral und groß, dass ich sie leider beim Lesen nicht mehr ausblenden konnte. Schade!

* Spoiler-Ende! *

„Aber Mutter versteht das nicht. Für sie zählen nur Gehorsam und Strafe, in ihrer Nähe fühle ich mich einsam und unverstanden.“ E-Book, Position 530

Mein Fazit

Nach einem mysteriösen, starken Beginn geht es leider nur noch bergab. Dieser Thriller hat mich leider sehr enttäuscht, denn aus dem vielversprechenden Setting und der guten Grundidee hätte man so viel mehr machen können! Besonders gestört haben mich die großen Logiklöcher, die viel zu frühe Auflösung, der daraus resultierende Spannungsabfall und die blass bleibenden Figuren. Von mir gibt es deshalb leider keine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 2 Sterne
Tiefe: 2 Sterne
Umsetzung: 2 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 1 Stern
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 3 Sterne
Figuren: 2 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Tempo: 2 Sterne
Wendungen: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir 2 Sterne!