Rezension

Vier Frauen und ihre Glückserwartungen - aufgereiht wie Rechenperlen

Dream Count -

Dream Count
von Chimamanda Ngozi Adichie

Bewertet mit 3.5 Sternen

Chia/Chiamaka stammt aus einer wohlhabenden nigerianischen Igbo-Familie und lebt als selbstständige Reiseschriftstellerin in den USA. Sollte sie beruflich scheitern und keinen akzeptablen Ehemann präsentieren, muss sie in Nigeria im Unternehmen ihres Vaters arbeiten. Zu Beginn der 20er Jahre (teils während der Corona-Pandemie) kreuzen sich ihre Wege mit denen ihrer Cousine und Freundin Omelogor, in Nigeria eine erfolgreiche Bankerin, der Anwältin Zikora und Kadiatou aus Guinea, Chias Haushälterin und geschickte Friseurin für afrikanische Flechtfrisuren. Für die drei Frauen aus Nigeria tickt ab ihrem 30. Lebensjahr  die biologische Uhr und der Druck ihrer Familien lastet schwer, ihren Eltern endlich einen  Ehepartner vorzustellen, der bereit ist, sich in die Igbo-Kultur einzufügen.  Chia hat offenbar in einer langen Reihe enttäuschender Beziehungen einsehen müssen, dass sie weder mit einem Europäer, einem Geisteswissenschaftler, einem Afroamerikaner, noch mit einem Mann einer anderen afrikanischen Kultur leben kann. Mit ihrem Interesse an Luxusgütern und ihrer Abhängigkeit von der finanziellen Unterstützung ihres Vaters  verkörpert sie aus meiner Sicht das Problem des Braindrains und Kapitalabflusses aus armen Ländern, zugleich stellt sie den Prototyp der privilegierten Tochter aus reicher Familie dar, die noch immer nicht allein für ihren Lebensunterhalt aufkommt.

 Chia lernt Kadiatou kennen, als ihr deren sorgfältig geflochtene Frisur auffällt. Neben ihrer Arbeit als Zimmermädchen arbeitet „Kadi“ auch in Chias Haushalt, Kadi hat in den USA Asyl erhalten, weil sie als Opfer von Klitorisbeschneidung ihrer Tochter Binta dieses Schicksal ersparen will. Als Kadiatou am Arbeitsplatz von einem Franzosen (eng angelehnt an den Fall Dominique Strauss-Kahn und Nafissato Diallo) vergewaltigt wird und die Tat anzeigt, stehen sie und ihre Familie plötzlich im Licht der Öffentlichkeit – und Kadis Asylstatus gerät in Gefahr. Omelogor hat in Nigeria als Bankerin gearbeitet und die Schattenseite eines korrupten Staates kennengelernt. Sie beschließt spontan, in den USA zu studieren, um sich mit dem Problem von männlicher Gewalt zu befassen, ein Thema, für das sie im Moment noch keine wissenschaftliche Betreuung findet.

Aus der Sicht von zwei Icherzählerinnen, mit zahlreichen Rückblenden und einer Vielzahl an Figuren erzählt Adichie von Träumen ihrer vier Frauenfiguren, die sich aufreihen wie Perlen auf einem Rechenrahmen für Kinder. Die drei Nigerianerinnen müssen realisieren, dass sich die Glückserwartungen ihrer Großfamilien nicht mit ihren eigenen vereinbaren lassen – und dass sie selbst sich mit jedem Kompromiss weiter den Werten ihrer Mütter annähern, die sie ursprünglich hinter sich lassen wollten. Letztlich geht es schnöde um Geld, das die Frauen verdienen oder erheiraten müssen, um große Familien im Heimatland zu unterstützen. Da mich neben den vielen kleinen Details zum Leben von Igbo-Emigrantinnen in den USA nur die Passagen über Omelogor und ihre verblüffende Robyn-Hood-Rolle fesseln konnten, nicht aber die zu den drei anderen Frauen, empfehle ich Einsteigern in Adichies Werk zuerst ihre älteren Romane zu lesen.