Rezension

Vom Abblättern der Illusionen - großartig geschrieben!

Wir sind nicht wir - Matthew Thomas

Wir sind nicht wir
von Matthew Thomas

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt / Klappentext:

Wurde je bedingungsloser ans Glück geglaubt als im New York des 20. Jahrhunderts? Matthew Thomas Epos einer irisch-amerikanischen Einwandererfamilie international schon eine literarische Sensation umspannt drei Generationen und zeichnet das Porträt von Eileen Tumulty, vielleicht eine der kompromisslosesten Träumerinnen der Literaturgeschichte.
Ob in dem kleinen Apartment in Queens, in dem Eileen in den 1940er- und 50er-Jahren aufwächst, gelacht oder geweint wird, kommt ganz darauf an, wer gerade zu Besuch ist oder wieviel getrunken wird. Nicht ihre Eltern möchten, dass sie es einmal besser hat sie selbst will dieser Enge unbedingt entfliehen.
Als sie Ed Leary begegnet, einem jungen Wissenschaftler voller Sanftmut, scheint das Ersehnte so nah: ein schönes Haus, eine kleine Karriere, eine glückliche Familie. Doch was, wenn Träume in Erfüllung gehen, das Glück sich aber nicht hinzugesellt? Thomas erzählt nicht von Tellerwäschern und Millionären, sondern von ganz gewöhnlichen Menschen. Denn sie die Mittelschicht sind es, die Amerika zu einem mythischen Ort der Freiheit und Selbstverwirklichung gemacht haben.
Aber so, wie wir längst wissen, dass dieser Mythos nur eine Chimäre war, erfahren auch Eileen, Ed und ihr Sohn Connell, wie schnell Sichergeglaubtes ins Wanken gerät. Dann stellen sich die drängenden Fragen: Was ist wirklich wichtig im Leben? Hat man ein Recht auf Glück? Und wer sind wir, wenn wir nicht mehr wir selbst sind?

Meine Meinung:

Wow, was für ein Werk! Obwohl ich anfangs noch etwas Schwierigkeiten hatte, mich in die Story reinzufinden, als es mit Eileens Kindheit losging, die als Tochter einer irischen Einwandererfamilie in New York lebt, wurde es dann immer packender und ich habe das Buch geradezu verschlungen.

Aus einfachen Verhältnissen kommend, möchte Eileen mehr aus ihrem Leben machen. Sie strebt nach einem gewissen Ansehen, einem guten Beruf, materiellen Errungenschaften und vor allem einem schönen Haus in einer guten Gegend, was etwas hermacht. Sie lernt ihren Ehemann Ed kennen, der als Professor für Naturwissenschaften an der Universität forscht und lehrt und hofft auf seine Karriere und ihre gemeinsame Umsetzung ihrer Lebenspläne. Dieser ist allerdings sehr zufrieden mit seinem Beruf, findet Erfüllung darin und lehnt mehrere Jobangebote und Beförderungen ab. Eileen frustriert dies sehr, zumal die Gegend, in der sie wohnen immer mehr verkommt und sie unbedingt an einen prestigeträchtigeren Ort umziehen möchte.

Lange versuchen die beiden ein Kind zu bekommen, was dann letztlich auch gelingt als ihr Sohn Connell geboren wird. Als Baby wird er von ihr mit Zärtlichkeiten und Zuwendung überhäuft, was dann später allerdings sehr nachläßt. Sie wirkt dadurch oft kühl und emotionslos, aber bald wird klar, dass sie die Starke in der Familie ist, die pragmatisch den Alltag meistert und sich nicht zu viele Emotionen zugestehen darf.

Der Autor schildert all dies sehr eindrucksvoll, berührend, wobei er nie auf die Tränendrüse drückt. Stattdessen gibt es ausdrucksstarke Szenen, wo z.B. Eileen der Aufforderung ihres heranwachsendes Sohnes, ihn zu umarmen, nicht nachkommen kann, sondern ihm stattdessen nur freundschaftlich auf den Rücken klopft.

Eileen gibt ihre Vision vom Leben und ihre Ziele nicht auf, hofft weiter auf ein schönes Haus, wovon ihr Mann Ed allerdings nichts wissen möchte. Er ist immer zufrieden mit dem, was er hat, strebt nicht nach mehr. Für sie ist es ziemlich frustrierend, einzusehen, dass sie beide völlig verschiedene Vorstellungen vom Leben haben. Besonders gefallen haben mir dazu Sätze wie diese:

"Ein Großteil des Lebens bestand aus dem langsamen Abblättern von Illusionen."  oder  "Geld war keine Garantie für Würde."

Ed verändert sich schließlich sehr, ist schnell überfordert, will nur noch seine Ruhe haben, zieht sich in sich zurück. Als Leser rätselt man eine ganze Weile rum, was wohl mit ihm los sein mag. Ich möchte hier nicht zuviel verraten, deshalb nur soviel, dass die Familie ein herber Schicksalsschlag trifft, der das weitere Leben der ganzen Familie Leary bestimmt.

Mich hat das Buch sehr beeindruckt. Es ist realistisch, beschreibt das alltägliche Leben und die Beziehungen innerhalb von Familien. Über Liebe, Nähe und Distanziertheit, über Erwartungen und Enttäuschungen. Und durch alles zieht sich der nicht erfüllte "amerikanische Traum", eben das "Abblättern von Illusionen".

Dem Autor ist ein modernes, bewegendes Familien-Epos gelungen, ein eindrucksvolles und anspruchsvolles Buch, was mir lange im Gedächtnis bleiben wird. Allerdings ist es keine leichte Kost, die Story hat mich auch sehr berührt.

Auf jeden Fall eine Leseempfehlung von mir!