Rezension

Vom Anderssein

Meine Königin - Jean-Baptiste Andrea

Meine Königin
von Jean-Baptiste Andrea

Bewertet mit 5 Sternen

Bezaubernd. Ohne Fehl und Tadel. Zu Recht mit Preisen bedacht!

Jean-Baptiste Andrea hat Bilder im Kopf. Logisch. Als Filmregisseur. Bilder großer Intensität und Ausdruckskraft entstehen unmittelbar auch beim Leser, während er den ersten Romanversuch des Regisseurs durchliest. Eine Bergwelt, ein Sommer, arme Leute, einfache Leute, ein Sommerhaus, eine bitter-süße Sommerfreundschaft zwischen zwei Sonderlingen.

Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Film- oder Presseleute auch gute Bücher schreiben. Doch Jean-Baptiste Andrea hat eine bezaubernde Prosa: „Hier im Tal schien der Sommer noch nicht zu wissen, dass er bald gehen musste. Niemand hatte ihm etwas gesagt, und er hatte es sich bequem gemacht, ein bisschen wie ich, ohne allzu weit voraus zu denken.“ So redet und denkt Shell.

Shell ist zwölf, ein bisschen frühreif und naturverbunden, mit Orientierungsproblemen im Alltag. Er funktioniert ein bisschen anders, konnte nicht lesen lernen und rechnen, weil in seinem Kopf alles durcheinandergeht, aber dumm ist er nicht. Eigentlich ist er sehr zufrieden in seiner kleinen Welt. Doch dann entdeckt er, dass die Eltern mit dem Gedanken spielen, ihn wo anders unterzubringen. Und so läuft er weg und trifft seine Königin. „Königinnen“ aber, sagt Matti, ein Freund, den Shell trifft und bei dem er eine Weile wohnt, „sind schwierig, da kann man nichts machen“. Eigentlich meint er Frauen, nicht wahr, Matti?

Die kleine gerade mal 150 Seiten umfassende Geschichte von Shell und Viviane ist bezaubernd trotz ihrer Traurigkeit. Der Autor macht Shells naive Gedankenwelt durch eine wunderschöne klare Sprache deutlich, der Leser darf sich fallen lassen in diese Mischung aus schönem Märchen und hässlicher Realität. Aus diesem Gegensatz entspringt der Zauber des Buches, dem sich wohl keiner entziehen kann.

Auch die Übersetzung ist sehr gelungen. Das muss man heuer wohl dazu sagen, weil es nicht mehr selbstverständlich ist einerseits und andererseits Übersetzung selber eine Kunst ist.

Fazit: Die Franzosen schreiben momentan viele gute Bücher. „Meine Königin“ gehört unbedingt dazu. Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Kategorie: Belletristik. Märchen.
Verlag: Insel, 2019
 

Kommentare

katzenminze kommentierte am 12. April 2019 um 11:37

Das hört sich schön an! Bezaubernd, traurig, kurz; klingt als ob es mir gefallen wird. Es darf also auf der Wunschliste bleiben. Bei Regisseuren bin ich ja immer skeptisch, hier scheint es funktioniert zu haben. Merci.

Sursulapitschi kommentierte am 12. April 2019 um 12:19

Oh, zauberhaft, dabei sieht es so unscheinbar aus. Nie hätte ich es angesehen. Danke!!!