Rezension

Vom Ende einer Kindheit

Als der Sommer eine Farbe verlor - Maria R. Heinitz

Als der Sommer eine Farbe verlor
von Maria R. Heinitz

Bewertet mit 4 Sternen

Aimée, gefeierte Künstlerin und Mutter zweier Kinder, ist wohl schon seit vielen Jahren depressiv veranlagt, wobei ihre Erkrankung mal mehr, mal weniger in Erscheinung tritt, das Familienleben aber immer wieder beeinflusst. Diesen Hintergrund erfährt man als Leser in den Erinnerungen von Bénédicte, die uns ihre und die Geschichte ihrer Familie erzählt. Bic, so wird sie genannt, verlebt mit ihrem jüngeren Bruder Marcel und der Großmutter Mamique einen wunderbaren Sommernachmittag im Garten ihres Hamburger Hauses, die Mutter hat sich in ihr Atelier zurückgezogen.
Als Bic ihr später von den leckeren Blaubeerpfannkuchen der Großmutter bringen will, endet ein Stück ihrer Kindheit auf brutale Weise. Die Dreizehnjährige steht mit ihren nackten Füßen in einer fast noch warmen, klebrigen Flüssigkeit, die sich unter der Tür des kleinen Badezimmers der Mutter einen Weg bahnt. Sie findet ihre Mutter, blutüberströmt, die gerade versucht hat, sich das Leben zu nehmen.
Das Folgende ist vordergründig schnell erzählt. Die Mutter, wahrscheinlich hat sie überlebt, wird in einem Sanatorium behandelt, darf aber von den Kindern nicht besucht werden. Der Vater, als Alleinerziehender völlig überfordert, nimmt eine neue berufliche Herausforderung als Psychiater in der niedersächsischen Provinz an, kauft dort in Sprede ein Haus und übersiedelt mit seinen beiden Kindern dorthin. Beruflich scheint er sehr erfolgreich und renommiert zu sein, als Vater und Familienmensch versagt er auf ganzer Linie.
Bic hat als Folge der traumatischen Erfahrungen nicht nur ihre  Fähigkeit, die Farbe ROT zu sehen, vorübergehend verloren. Sie hat, ebenso wie der Bruder Marcel, außer der nur zeit- und besuchsweise anwesenden Großmutter keinerlei Bezugspersonen mehr, mit denen sie über die Erlebnisse und die so sehr vermisste Mutter sprechen kann.
Ihr Weg nach vorn beginnt sehr zaghaft mit den zunächst mit Widerwillen akzeptierten Besuchen bei Frau Dr. Fritzi, einer Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, doch im Laufe der Romans erfährt Bic doch auch eine für sie erkennbare Änderung durch diese wöchentlichen Besuchsstunden. Sie lernt ausserdem Philo kennen, einen der Anstaltsinsassen in der „Irrenanstalt“ des Vaters, der neben seinen äußerlichen Handicaps ungeheuer belesen ist und für Bic ein sehr interessanter Gesprächspartner wird. In den Gesprächen mit ihm vollzieht sich ein Stück weit das beginnende Erwachsenwerden von Bic und sie beginnt, sich und anderen Fragen zu stellen, auf die sie allerdings nicht immer eine Antwort bekommt. Mit ihrer neugefundenen Freundin Susi, die wegen ihre vorwitzigen und klugen Art ebenso eine Außenseiterin ist, sucht sie nach den frühen Verbindungen von Philo nach draußen zu Dr. Fritzi, hier bekommt der Roman einen leichten Anflug von Kinderkrimi, was durchaus zur Geschichte passt.
Meine einzigen Kritikpunkte sind die Sprache und die Reflexionen von Bic, die nach meinem Empfinden nicht die Gedanken und die Sprache einer Dreizehnjährigen widerspiegeln. Selbst wenn man konstatiert, dass das familiäre Umfeld und die Erlebnisse Bic schneller haben „altern lassen“, ist das ein Bruch in diesem Buch. Allerdings hat mit dies in keiner Weise davon abhalten können, das Buch mit großer Spannung und Freude zu lesen, auch wenn es nicht immer nur leichte Kost ist, wie man einem Familienroman gern unterstellt.
Ärgerlich allerdings fand ich die vielen französischen Textstellen, die zudem erst im Anhang übersetzt wurden. Das muss nicht sein, das lässt sich sicher auch anders und besser lösen.

Aber trotzdem: Der Roman sei allen Leserinnen anspruchsvoller Familiengeschichten unbedingt zur Lektüre empfohlen.