Rezension

Vom Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland

Zur See -

Zur See
von Dörte Hansen

Bewertet mit 5 Sternen

„Auf allen Inseln gibt es einen, der die Sagen kennt. Die alten und die neuen Mythen. All die wahren, halbwegs wahren, frei erfundenen Geschichten über diese See, die Menschen, ihre Schiffe, ihre Angst. Er muss sie weitersagen, ob er möchte oder nicht, denn die Geschichten suchen den Erzähler aus. Nicht umgekehrt. Auf dieser Insel ist es Rykmer Sander, der die Sagen kennt.“ (4%)

Rykmer und seine jüngeren Geschwister Eske und Henrik sind bereits auf dieser Nordseeinsel geboren, von der wir nicht genau erfahren, welche es ist oder ob es sich um eine fiktive Insel handelt. Sie sind inzwischen erwachsen und führen ihre eigenen Leben. Aber - auf dieser Insel. Sie sind nicht weggezogen. Jeder von ihnen repräsentiert eine Urtümlichkeit des Insellebens. Rykmer, der bereits zur See gefahren ist und all die Geschichten über die See kennt. Eske, die sich für „die Inselsprache“, den Dialekt, der langsam in Vergessenheit gerät, begeistert und die alten Insulaner pflegt und sie oftmals inklusive der alten Geschichten und Sprache zu Grabe tragen muss. Und Henrik, der Jüngste, der eine tiefe Verbundenheit zum Meer und zur Natur empfindet, eins mit ihr zu sein scheint.

Ihre Eltern Hanne und Jens haben sich seit einigen Jahren auseinander gelebt. Sind den Anforderungen an die typischen Insulanerrollen nicht ganz gerecht geworden. Eine feste Verbundenheit bleibt. Es wird über dieses Auseinanderdriften nie gesprochen. Genauso kommentarlos nähert man sich nach Jahren wieder an. Nix gewesen.

Derlei Beziehungsgeflechte gibt es viele in Dörte Hansens drittem Roman. Die Geschichten der Figuren sind eng verwoben mit der Geschichte der Insel, die auf ein Ende zuzugehen scheint.

So schließt Hansens dritter Roman thematisch an die beiden Vorgänger an: Auch darin wird das Ende einer Zeit beschrieben. Das Ende einer Zeit irgendwo in Norddeutschland.

„Zur See“ hat mich noch ein wenig mehr aufgewühlt als die beiden Vorgängerromane. Dabei halte ich alle ihrer Bücher für absolut herausragend. Man findet immer Figuren (oder zumindest Teile von ihnen), mit denen man sich identifizieren kann. Sieht sich in einer ähnlichen Beziehung und begreift plötzlich viel mehr darüber. 

Die zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen gleichzeitig besonders und alltäglich. Sie werden akzeptiert und fast schon liebevoll betrachtet in ihrer Einzigartigkeit und Kauzigkeit.

Als Norddeutsche fühlt man sich vermutlich noch mehr angesprochen von diesen Geschichten. Die Schroffheit der Personen und der Natur; der Wandel hin zu einer globalisierten Welt, der auch entlegenen Regionen Norddeutschlands allmählich die jahrhundertealten Eigenheiten nimmt.

„Zur See“ werde ich noch viele Male verschenken. Eine wunderbare Geschichte!