Rezension

Vom Erinnern und Vergessen

Noah will nach Hause - Sharon Guskin

Noah will nach Hause
von Sharon Guskin

Die Spurensuche Noahs in sein früheres Leben könnte mitreißender und spannender kaum erzählt sein.

Die Architektin Janie Zimmerman reist kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag nach Trinidad. Nach einer leidenschaftlichen Begegnung mit einem Fremden kehrt sie schwanger nach New York zurück. Ihr Sohn Noah ist ein außergewöhnlicher Junge: Mit vier Jahren weiß er Dinge, die niemand ihm erklärt haben kann, er weigert sich zu baden und er fragt immer wieder nach seiner „richtigen“ Mama. Janie vertraut sich einem Psychiater an, der Fälle wie Noah schon seit langem untersucht.

 

Sharon Guskins Einstieg in die Geschichte gelingt realistisch und verzaubernd zugleich. Janies Verhalten, auch später angesichts der unerklärbaren und schwierigen Reaktionen ihres Sohnes, ist jederzeit nachvollziehbar. Man begibt sich mit ihr auf die Suche nach Erklärung, nach Lösungen, versteht ihre Verzweiflung in jeder Minute. 

Anderson wiederum hat seine eigene Motivation: Gerade hat er erfahren, dass er unter einer besonderen Form von Demenz leidet, dabei möchte er unbedingt das Buch über seine wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre fertigstellen. Doch dazu fehlt ihm noch ein Fall wie Noah.

Vermieden wird Schwarz-Weiß-Denken. Beinahe alle Personen handeln nach besten Vorsätzen, Konflikte ergeben sich aus ihren Geschichten und unterschiedlichen Interessen heraus. 

Neben dem großen Thema Liebe geht es um Erinnern und Vergessen. Auf der einen Seite der Junge Noah, der auf der Suche ist nach einer Herkunft, die über die  seines jetzigen Lebens hinausführt, auf der anderen der Mann, der ihm bei dieser Suche helfen will und einen Wettlauf gegen die Zeit und den Verlust seiner Sprachfähigkeit aufnimmt. Überzeugt von der Idee der Reinkarnation, sieht er das Erinnern nicht ausschließlich positiv: „Nur ein paar verlorene Seelen hatten versäumt, von seinem (des Flusses Lethe) Wasser zu trinken - hatten vergessen zu vergessen.“ (S.313) 

Die Geschichte Noahs ist so eindringlich, spannend und mitreißend erzählt, dass sie geradezu verschlungen werden muss. Lediglich das Ende dehnt sich etwas, gerät zu einer Ausführlichkeit, die zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr nötig wäre, und droht, was während des ganzen Romans hervorragend vermieden wurde, ins Sentimentale abzugleiten.

Ein ganz großes Lob verdient die Gestaltung: Das wunderschöne Cover mit den ausgesparten Fensteröffnungen vermag in ganz besonderer Weise die Sehnsucht nach dem verlorenen Zuhause wiederzugeben.