Rezension

Vom fatalen Wunsch nach starken Führerfiguren

Faschismus - Madeleine Albright

Faschismus
von Madeleine Albright

Bewertet mit 5 Sternen

Madeleine Albright war von 1997 bis 2001 Außenministerin der Regierung Clinton und ist bis heute bestens mit Amtskollegen aus jener Zeit vernetzt. Schon als Schülerin hat sie sich für Außenpolitik interessiert und konnte besonders als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen zur Lösung internationaler Konflikte beitragen. Albrights Familie emigrierte zunächst vor dem Nationalsozialismus aus der Tschechoslowakei nach England, später vor dem Kommunismus in der Tschechoslowakei in die USA. Drei von Albrights Großeltern und weitere Verwandte waren in deutschen Konzentrationslagern getötet worden. Albrights Vater, der zuvor tschechischer Botschafter in Jugoslawien war, empfand lebenslang Dankbarkeit dafür, dass die USA ihm politisches Asyl gewährten.

Albright erarbeitet zu Beginn ihrer Warnung vor zunehmenden faschistischen Tendenzen gemeinsam mit ihren Studenten eine Definition des Begriffs; (viele der Familiennamen in der Danksagung zeigen diese Studenten als Nachkommen von Einwanderern). F. sei auch eine derzeit in Mode gekommene Zuschreibung, die für Vertreter unbequemer, abweichender Werte benutzt würde, stellt Albright fest. Historisch gesehen seien Kennzeichen des F. eine Wir-gegen-die-da-draußen-Mentalität aus Angst, selbst zu kurz zu kommen, der Anspruch, im Namen einer ganzen Nation zu sprechen, die Legitimierung von Gewalt, ein Bedürfnis nach charismatischen Führerfiguren, aggressive, autoritäre und expansionistische Tendenzen, immer verbunden mit einer Rückendeckung für die Ideologie in weiten Teilen der Bevölkerung. Politiker würden heute vielfach die Spaltung zwischen Arm und Reich für den eigenen Machterhalt nutzen, anstatt sich für die Überwindung der Spaltung einzusetzen, und damit die Demokratie in ihren Staaten gefährden.

Nach einer aussagefähigen Beschreibung des italienischen und deutschen F. und dessen Ursachen vollzieht Albright aktuelle Entwicklungen in Russland, Nord-Korea, Ägypten, Argentinien, Venezuela, der Türkei, Ungarn und Polen nach. In der Bedrohung von Arbeitsplätzen durch technische Innovationen sieht die Autorin aktuell eine große Gefahr für f. Tendenzen, aber auch durch mangelnde Empathie gegenüber den Bedürfnissen anderer, sowie eine scheibchenweise Schwächung von Gewaltenteilung und unabhängiger Presse. Der Bezug zu den Verhältnissen in den USA unter Trump ist hierbei nicht zu übersehen. Albright grenzt F. und Tyrannei voneinander ab und findet zwischen Faschismus und Kommunismus eine erschreckende Liste von Gemeinsamkeiten. Schließlich äußert Albright sich auch zur kriselnden EU, in der die Bürger sich über die Einmischung in Kleinkram aufregen und die Kompetenz der Abgeordneten bezweifeln, die ihnen die Regeln auferlegen. Offensichtlich konnten Politiker dem normalen Landwirt oder Arbeiter noch immer nicht klarmachen, wie sich eine Rückkehr zur europäischen Kleinstaaterei in seinem persönlichen Geldbeutel auswirken wird.

Der Titel ihres Buches sei mit voller Absicht alarmistisch, so Albright. Ihre Lösungsansätze für die derzeitigen Konflikte sind Sicherung der Arbeitsplätze, eine hohe Zahl legaler Einwanderungen, Empathie für die Bedürfnisse anderer, moralische Integrität und eine entschiedene Absage an Gewalt und Hass.

Albright kennt die Länder aus eigener (beruflicher und privater) Anschauung, über die sie schreibt. Dass sie mögliche faschistische Tendenzen in - erschreckend - zahlreichen Ländern aufs Korn nimmt, hat mir deutlich gemacht, dass eine europäische Union eben auch Interesse an den Nachbarstaaten erfordert. Die aktuelle Situation stellt Albright in Form von Kurzbiografien der jeweiligen Führerfiguren dar, die nicht nur vollgepackt sind mit den Beobachtungen einer erfahrenen Politikerin, sondern sich überraschend gut lesen lassen. Natürlich verfügt Albright über ein ganzes Team von Rechercheuren und Lektoren, ihre Texte entstehen in Gemeinschaftsarbeit.