Rezension

Vom Leben geschrieben

Mein langer Weg nach Hause - Saroo Brierley

Mein langer Weg nach Hause
von Saroo Brierley

Bewertet mit 2.5 Sternen

Der Untertitel dieses Buches heißt "Wie ich als Fünfjähriger verlorenging und 25 Jahre später meine Familie wiederfand" - und damit ist der Inhalt im großen und ganzen erzählt: Saroo Brierley stammt aus einer sehr armen indischen Familie, der Vater hatte sie verlassen, die Mutter der vier Kinder arbeitete auf dem Bau. Die Kinder Kallu, Guddu, Saroo und Shekila bleiben sich selbst überlassen, versuchen mit Betteln und kleineren Tätigkeiten Geld oder Essen zu erlangen. Saroo begleitet als Fünfjähriger seinen wenig älteren Bruder mit dem Zug in den Nachbarort, schläft dort ein und findet den Bruder nicht mehr. Er steigt in einen Zug, von dem er hofft, dass er ihn zurück bringt, landet aber in Kalkutta. Von dort versucht er, wieder nach Hause zu finden, gelangt schließlich in ein Kinderheim und bekommt nach einer Weile die Möglichkeit, sich adoptieren zu lassen. 25 Jahre später macht er sich in Australien erneut auf die Suche nach seinem Heimatort und hat schließlich Glück: Bei Google-Maps findet er einen Ort, der so aussieht, wie der seiner Erinnerung.
Die Geschichte von Saroo Brierley war mir bereits aus Zeitungsmeldungen bekannt. Sie ist zu recht als Nachricht um die Welt gegangen. Diese Lebensgeschichte ist gleichzeitig einmalig und steht trotzdem stellvertretend für die vieler anderer armer Kinder, denen das entscheidende Glück allerdings fehlte. Leider hatte ich den Eindruck, dass es über diese (ja, etwas detailreichere als von mir geschilderte) Geschichte nicht hinaus geht. Für mich blieben viele Fragen offen, vor allem zur Situation in Indien, doch da diese wohl auch dem Verfasser zu fremd ist, kann er wenig darüber berichten. Aber auch die eigene Geschichte ist nicht ganz flüssig erzählt, es kommt immer wieder zu unnötigen Wiederholungen, dazu wurde in der deutschen Ausgabe z. B. nicht darauf geachtet, dass die Fotos sich in der vorderen Umschlagklappe finden, im Text wird auf die hintere verwiesen. Brierley ist zwar bemüht, seine Gefühle zu schildern, z. B. die Sorge, seinen Adoptiveltern mit der Suche nach seiner Herkunft wehzutun, tut dies aber wie ein Außenstehender und eher nüchtern.
Gleichzeitig hat mir das Buch aber auch Anlass zum Nachdenken gegeben: Offenbar ist der Fünfjährige so sehr auf sich selbst gestellt gewesen, dass er nicht nur seinen Heimatort und sein Geburtsdatum nicht kannten, sondern auch seiner Muttersprache kaum mächtig war. Immer wieder schreibt Brierley davon, dass er sich niemandem verständlich machen konnte, da ihm die Worte fehlten. Sogar seinen eigenen Namen hatte er falsch verstanden, seine Mutter nennt ihn beim Wiedersehen Sheru. Dass vielen Kindern die Möglichkeit fehlt, in die Schule zu gehen, war mir natürlich klar, aber dass es so leicht passieren kann, dass der Spracherwerb leidet, hatte ich mir kaum vorstellen können.
Insgesamt trägt die Lebensgeschichte von Saroo Brierley das Buch. Damit es aber ein wirklich besonderes geworden wäre, hätte noch mehr Arbeit ins Manuskript gesteckt werden müssen. Eine Verfilmung der Geschichte kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen.