Rezension

Vom Leben und vom Sterben...

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Susann Pásztor

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
von Susann Pásztor

Bewertet mit 5 Sternen

Fred Wiener ist frisch ausgebildeter ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Hospiz und nun bereit, seine erste Sterbegleitung anzutreten. Viele Bücher zu den Themen Psychologie und Tod hat er schon gelesen, doch nichts davon bereitet einen wirklich auf die Praxis vor. Entsprechend aufgeregt ist Fred, als er an der Tür klingelt - Karla Jenner-Garcia steht auf dem Schild. Doch was immer Fred auch erwartet haben mag - Karla reagiert skeptisch.

"Herr Wiener?", fragte Karla und wartete geduldig, bis er wieder zu ihr aufblickte. "Darf ich Sie fragen, warum Sie das machen? Was bringt Sie dazu, fremde Leute zu besuchen, die bald sterben werden?" (...) "Ich hab mal eine Fernsehsendung über Hospizarbeit gesehen", sagte er. "Ich wusste sofort, dass ich das auch machen wollte." --- "Nehmen die denn jeden?" --- Er entschied sich zu glauben, dass das nicht gegen ihn gerichtet war. (S. 14 f.)

Die 60Jährige verhält sich einfach nicht so, wie Fred es vermutet hat. Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstatdium, höchstens noch ein halbes Jahr zu leben - doch Karla ist sich nicht sicher, ob sie diese Art von Sterbebegleitung wirklich will. Fred jedoch lässt sich nicht beirren, bietet seine Dienste an und hat klare Vorstellungen, wie er dieser Patientin die letzten Wochen und Monate in ihrem Leben verschönern kann.

"Ist das Ihr Unterhaltungsprogramm für Sterbende, Herr Wiener?", fragte Karla. "Ich setze eine Liste mit meinen Wünschen auf, die wir dann zusammen abarbeiten? Ein letztes Mal ans Meer? Noch einen Film für die Nachwelt drehen? Ich war noch nie in einem Sexshop oder so?" --- "Warum nicht", sagte er vorsichtig. --- "Dann sind Sie sehr romantisch, Herr Wiener. Wenn ich Listen schreibe, dann sind es welche, auf denen steht, welche Todesarten mir noch weniger gefallen als die, an der ich sterben werde. Ich schreibe Listen mit meinen gebrochenen Versprechen und all den Dingen, an die ich nie geglaubt habe. Ich schreibe eigentlich nur noch Listen. Für alles andere fehlen mir die Worte." (S. 17 f.)

Karla ist stark, spröde und eigensinnig, ohne Familie und Freunde, und hatte schon immer klare Vorstellungen von ihrem Leben - und nun auch von ihrem Sterben. Doch auch wenn Fred allmählich begreift, dass er seine Vorstellungen von einer Sterbebegleitung hier nicht unbedingt ausleben kann, versucht er immer wieder, sich auf seine Art einzubringen. Aber 'gut gemeint' ist nicht immer das hilfreichste Kriterium, und so kommt es bei dem Versuch, Karla mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen, zu einem Bruch. Karla lehnt jede weitere Hilfestellung ab.

"Ich habe eine Schwester, und die ist im Todesfall zu benachrichtigen. Solange ich das noch sagen kann, ist er nicht eingetreten." (S. 19)

Fred Wiener ist am Boden zerstört, und nur die Tatsache, dass sein 13jähriger Sohn Phil Karla weiterhin besuchen kann, tröstet ihn ein wenig. Phil ist nämlich derjenige, der Karlas zahllose Fotos von Konzerten und Musikevents archivieren soll, um sie der Nachwelt zu erhalten. Phil erzählt seinem Vater zwar nicht viel, doch das wenige reicht Fred, um zumindest einen kleinen Eindruck davon zu erhalten, wie es Karla geht. Phil wächst an seiner Aufgabe und diesen sehr besonderen Begegnungen mit der Todkranken, und ganz allmählich verändert sich auch die Beziehung zwischen dem Sohn und seinem Vater. Hausmeister Klaffki ist jedoch schließlich derjenige, der den Kokntakt zwischen Karla und Fred wiederherstellt - in einer Notsituation ruft er den Sterbebegleiter einfach an und bittet um seine Unterstützung. Fred beschließt, fortan vorsichtiger zu sein.

"Wie geht es jetzt weiter? Haben Sie mit Ihrem Arzt darüber gesprochen?" --- "Mein Arzt weigert sich, mir den genauen Todeszeitpunkt zu nennen. Meinen Sie, ich sollte da mehr Druck machen?" (S. 112)

Durch die anderen Bücher von Susann Pásztor wusste ich bereits, dass man bei ihr vor keinem Thema Angst haben muss. Sie schreibt nicht kitschig, drückt nicht auf die Tränendrüse, hängt nicht an Klischees - sie schreibt einfach ehrlich. Ihr Stil ist - so auch hier - warmherzig, gefühlvoll, unpathetisch, humorvoll, verständnisvoll, menschlich, einflühlsam. Dabei gestaltet sie die Dialoge oft knochentrocken und mit viel hintergründiger Ironie, was mir besonders gefällt. Gerade bei einem solch doch recht ernsten Thema ist dies einmal mehr eine überaus gelungene Mischung.

Phil blieb mit der fremden Frau allein im Wohnzimmer zurück. Er suchte verzweifelt nach etwas, das er sagen konnte, aber das Einzige, was ihm einfiel, war 'Ich bin Phil Wiener, und wer verdammt noch mal sind Sie?', und das ging nicht, denn er war das Kind hier und konnte solche Fragen nicht stellen, auch wenn er gerade das Gefühl hatte, von lauter Irren umgeben zu sein (...) und Phil fand, es war eigentlich ein guter Moment, um sich komplett in Luft aufzulösen oder an einem sicheren Ort abzuwarten, bis er volljährig war." (S. 131 f.)

Dennoch oder gerade deswegen berührt die Geschichte. Dabei wird sie nicht auf das Thema Sterben und Sterbebegleitung reduziert, sondern erzählt vielmehr vom Leben. Von Karla erfährt der Leser nur so viel, wie sie ihn von sich wissen lassen möchte - ihre Antworten sind oft abweisend, manchmal aber auch nicht, und wichtig ist ihr nur, dass sie ihre letzten Wochen selbstbestimmt gestalten kann. Fred und Phil jedoch sind zwei einsame Individuen, die sich mögen, aber nicht so recht wissen, wie sie miteinander reden können. Karla und ihr Sterben dient da unbewusst als Katalysator, denn plötzlich bewegen sich Vater und Sohn aufeinander zu. Und gehen gemeinsam ins Leben.

Lachen und Weinen liegen hier ganz dicht beieinander, und doch fühlte sich das Lesen die ganze Zeit über gut an. Susann Pásztor führt sicher durch die Erzählung, lässt hier kein Gefühl überhand nehmen und sorgt dafür, dass das Buch mit einem Gedanken geschlossen wird: Lust. Auf. Leben.

Ich wünsche mir noch viele, viele Bücher von Susann Pásztor.

© Parden