Vom Mann ohne Pepp. In leisen Tönen.
Bewertet mit 3.5 Sternen
Die Autorin stellt uns eine japanische Familie vor, Vater, Mutter, Kind(er). Die Kinder sind aus dem Haus, der Vater gerade in Rente. Er hat sich im Büro abgerackert für die Familie. Ist gependelt. Tagein. Tagaus. Wie viele Japaner. Bescheidenes Eigenheim mit Aussicht ist der Erfolg.
Entdecke die Möglichkeiten. Des Ruhestandes. Plötzlich viel Freizeit. Aber man wird nicht mehr gebraucht. Alles scheint plötzlich sinnfrei zu sein.
So mag es vielen Menschen gehen, vor allem den Herren der Schöpfung. Da spielt sich vieles, was man tun und nicht mehr lassen könnte, nur im Kopf ab, das aber nicht in die Realität umgesetzt wird. Warum nicht, das wird nicht ganz klar. Ist Herr Kato ein besonders träges Exemplar? Liegt es an der japanischen Gesellschaft? Warum ist er so antriebslos? Denn ich für meinen Teil kenne nur Rentner, die wahnsinnig viel zu tun haben, die Enkel hüten, wandern gehen, reisen, schreiben, filmen, Sport ist sehr beliebt, Marathonlauf, Bowlen, Gartenarbeit, Bier trinken mit den Nachbarn und, zu meinem Leidwesen, das ständige Grillen. Oder Ehrenamt. Hut ab, was die alten Herrschaften noch so auf die Beine stellen! Aber Kato: nichts. Deprimierend. Er streitet sich nicht einmal mit seiner Frau. Kommunikation gleich Null. Versteht man sich ohne Worte? Mitnichten.
Da ersinnt sich die Autorin einen netten Twist: Durch die Begegnung mit Mie wird Kato in eine Agentur aufgenommen, die „Familie“ spielt. Das hätte lustig werden können. Ist aber nicht. Denn kaum ist der Leser eingestimmt auf die neue Situation, möchte ein wenig lachen, denkt ein wenig nach, ist die Wirkung schon wieder verpufft. Denn die Agentur schließt. Zu früh, Milena, zu früh!
„Herr Kato spielt Familie“ ist ein sehr hübsch geschriebenes Büchlein, poetisch gar, mit reflexiven Ansätzen über das beginnende Alter, das wie Herr Kato den Aufbruch, die echte Wendung zum Ende hin verpasst, beziehungsweise gewollt auslässt. Die Autorin weigert sich, die Depression(en) aufzuheben, der Versuchung nachzugeben, ein wenig auf den Putz zu hauen, mit anderen Worten, die leisen Töne zu verlassen. Das ist eine literarische Entscheidung gegen das Triviale. Das muss man anerkennen. Aber amüsant ist es nicht. Das Büchlein behält seinen leicht depressiv-melancholischen Ton bei bis zum letzten Wort. Und genau das hat mich gelangweilt.
Fazit: Die Idee des Buches hat mir sehr gut gefallen, aber dann fehlt doch der Pepp. Es hätten im Falle Katos ruhig ein paar Buchseiten mehr sein dürfen, die Ideen der Autorin etwas weniger komprimiert daherkommen können.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Wagenbach, 2018
Kommentare
Steve Kaminski kommentierte am 11. Mai 2018 um 09:24
Hmmm... Das klingt jetzt nicht so, als ob man es lesen müsste. "Ein zarter Roman über einen späten Neuanfang und über das Glück", heißt es in der Beschreibung des Verlags - so weit scheint es ja mit dem Neuanfang nicht her zu sein.
wandagreen kommentierte am 11. Mai 2018 um 09:56
Treffend bemerkt.