Rezension

Vom plötzlichen Ende einer Kindheit

Das Ende der Unschuld - Megan Abbott

Das Ende der Unschuld
von Megan Abbott

Bewertet mit 4 Sternen

Lizzie und Evie sind in diesem Sommer dreizehn. Die Mädchen teilen alles miteinander, eine von ihnen allein ohne die Freundin kann man sich nur schwer vorstellen. Gerüche von Babypuder und Lipgloss, ein Bett mit Volants wie ein rosa Kuchen; mit zuckrigen Details skizziert Megan Abbott amerikanische Kleinstadtidylle pur. Nach jahrelangem Fußballspielen werden die Mädchen neuerdings von Evies älterer Schwester Dusty im Feldhockey trainiert. Doch die Idylle ist von kurzer Dauer. Zum Ärger ihrer Tochter sitzt Lizzies gerennt lebende Mutter bis spät in der Nacht mit ihrem neuen Freund auf der Terrasse, und Lizzie wird neuerdings durch beunruhigende Träume aufgestört. Auf dem Heimweg von der Schule verschwindet eines Tages Evie von einer Minute zur anderen. Lizzie als beste Freundin, die Evie zuletzt gesehen hat, sieht sich plötzlich in der Rolle einer wichtigen Zeugin. Als sie in Gedanken die Ereignisse wieder und wieder an sich vorbeiziehen lässt, fallen Lizzie kaum spürbare Veränderungen bei Evie auf. So war Evies Interesse am Hockey in der Zeit vor ihrem Verschwinden plötzlich zurückgegangen.

Harold Shaw, ein Nachbar der Freundinnen, wird ebenfalls vermisst. Es wundert nicht, dass nun im Ort Geschichten über Kindermörder kursieren und Mr Shaw als Hauptverdächtiger gilt. Seit Lizzie von der Polizei verhört wurde, kippt die Normalität in der kleinbürgerlichen Nachbarschaft in eine bedrückende Stimmung. Alles klingt auf einmal falsch. Harmlose, lange zurückliegende Erlebnisse mit der Familie Shaw bekommen plötzlich eine bedrohliche Bedeutung. Väter und Brüder könnte man seither mit völlig anderen Augen betrachten. Lizzie nimmt ihre Rolle sehr ernst, möchte dringend dabei helfen, dass Evie wiedergefunden wird. Die Erwachsenen sind mit eigenen Sorgen ausgefüllt. Ted, Lizzies Bruder, verbarrikadiert sich in seinem Zimmer. Die Schutzbedürftigkeit der Kinder scheint kein Erwachsener mehr wahrzunehmen; Lizzie wird beinahe wie eine Erwachsene behandelt. Niemand stört sich offenbar an zweideutigen Situationen zwischen Kindern und Erwachsenen. Schließlich kennen sich die Familien seit Jahren.

Lizzies schockierend plötzliches Erwachsenwerden, ausgelöst durch das Verschwinden ihrer besten Freundin, beschreibt Megan Abbott geradezu beklemmend. Die zunehmende Vergiftung der Beziehungen, Lizzies Zweifel an ihrer Wahrnehmung und die sich auflösende Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit lassen einen raffinierten Psychothriller vermuten. Anders als Publishers Weekly sehe ich "Das Ende der Unschuld" eher als atmosphärisch beklemmende Studie des abrupten Endes einer Kindheit. In seiner Direktheit wird das Buch einige Leser befremden oder abstoßen.